Betrachten wir unser eigenes Erleben: Wahrscheinlich gibt es vereinzelt Situationen, wo wir das Verhalten eines Menschen nur sehr schwer ertragen, etwa dann, wenn es uns als bedrohlich erscheint. In einer so unerfreulichen Situation reagieren wir mit Zorn oder Angst. Vermutlich ist unsere verärgerte und aufgewühlte Reaktion nicht aus der Luft gegriffen. Aber dennoch: Im Moment unseres Ärgers können wir nur an solche Aspekte des Geschehens denken, die uns in unserer Erregung bestätigen. In einer so alarmierten Verfassung präsentieren uns die Gedanken aber eine relativ einseitige Sicht auf den Menschen, der uns so aufregt. Ist dem so und hat sich diese Aufwallung in uns erst einmal gelegt, dann werden wir das auch einsehen. Vielleicht erkennen wir dann sogar Ursachen für unseren Zorn, die gar nicht so sehr mit dem Geschehen, sondern mit uns selbst zu tun haben. Den meisten Menschen passiert ein solcher Jähzorn, wo sie dann unklug denken, reden, vielleicht sogar handeln, nicht allzu oft. Aber als seltene, nur kurz andauernde Zustände werden uns heftige Emotionen vermutlich nicht fremd sein. Es gibt auch Menschen, wo solche emotionalen Überreaktionen das tägliche Leben beinahe beherrschen, mitunter so sehr, dass diese Menschen sich und andere immer neu schädigen. Solche Menschen erleben die Wirklichkeit generell negativ und bedrohlich. Sie besitzen wenig Resilienz, also Widerstandsfähigkeit, die ihnen erlauben würde, Schwierigkeiten entgegenzutreten, ohne die Hoffnung zu verlieren oder von aggressiven Impulsen überwältigt zu werden.

 

Nach Ansicht der Psychoanalyse (Melanie Klein, Otto Kernberg) kann eine solche Neigung zu bedrohlichen Erregungszuständen und zu schwerer emotionaler Verunsicherung aus einer Entwicklungsstörung resultieren, die bereits in der frühesten Kindheit ihren Ausgang nimmt. Schon das Neugeborene besitzt eine Ausrichtung auf intime menschliche Nähe, die in der Phase der frühesten Gehirnentwicklung tiefgreifenden, prägende Einflüssen ausgesetzt ist. Vermutet wird, dass es auf der Beziehungsebene zu einer positiven und liebevollen Repräsentanz von „Mutter“, „Welt“ und „Ich“ kommen soll. Denkbare Faktoren, die eine solche grundlegende Einstellung stören können, sind einerseits eine genetische Disposition für destruktive Affekte und/oder mangelhafte Bindungserfahrungen etwa aufgrund von Vernachlässigung oder Unfähigkeit der Eltern, auf die Bedürfnisse des Säuglings adäquat einzugehen. In der Kindheit treten Erfahrungen und Beziehungsmuster hinzu, werden eingelernt und verinnerlicht. Dies gilt allerdings auch für seelische Verletzungen, also Erfahrungen, die mit großer Angst, Entsetzen und Hilflosigkeit zu tun haben. All dies kann in der späteren Adoleszenz den Aufbau einer reifen Persönlichkeit erschweren. 

 

Die Psychoanalyse sieht eine solche Disposition als verantwortlich für sehr problematische Wirkungen auf die Persönlichkeit eines Menschen. Um die verwirrende, chaotische, destruktive Gefühlswelt und die als bedrohliche erlebte Wirklichkeit zu ertragen, kann es beispielsweise zu einer massiven inneren Bereitschaft zu Hass und Feindschaft kommen. Der aus Österreich stammende und als Kind wegen seiner jüdischen Abstammung vertriebene Psychoanalytiker Otto F. Kernberg erläutert die paranoide Persönlichkeitsstörung: Hier identifiziert sich der Mensch mit einem idealen Selbst, während er alles Negative nach außen projiziert. Die paranoide Persönlichkeit sieht sich als gut, gerecht und immer im Recht in einer Welt, in der Menschen oder Menschengruppen schlecht, böse und gefährlich sind und kontrolliert werden müssen. Sie lebt mit der Vorstellung, die Welt sehr gut zu kennen und sich keine Illusionen zu machen. Es besteht eine Hypersensitivität gegenüber allem Negativen, Kritischen, das zum Beweis für die eigene Überzeugung wird. Widersprechende Umstände werden nicht zur Kenntnis genommen. Häufig wird zudem die eigene Feindseligkeit verleugnet und stattdessen den andern zugewiesen. Es besteht wenig Einsicht.  

 

Narzissmus

 

Eine bestimmte Form von Ich-Zentriertheit kann zu ausgesprochen destruktivem, im schlimmsten Fall sogar gefährlichem Verhalten führen. Otto F. Kernberg gab eine Theorie des bösartigen Narzissmus, die auf Freuds Modell aufbaut. Diese soll schrittweise erklärt werden. 

 

Eine Diagnose Narzissmus bedeutet keinesfalls, dass ein Mensch bösartig ist und schlechte Eigenschaften besitzt. Nur in seltenen Fällen folgt aus der grundlegenden, als Narzissmus bezeichneten Struktur ein psychopathischer, äußerst selbstsüchtiger Typus. Ebenso ist die Eigenschaft, den eigenen Vorteil zu beachten, nicht grundsätzlich verwerflich. Natürlich sollen wir unsere eigenen Interessen verfolgen, um glücklich zu sein. Auch würdigen wir die Liebe und Freundschaft anderer nur, weil wir unsere eigenen Bedürfnisse beachten. Uns ist wichtig, was andere von uns halten – wir sind uns wichtig! Dabei steht jedoch die Sorge um das gemeinsame Wohlergehen im Vordergrund. Sie ist mit einem intuitiven Verstehen und Beachten der wechselseitigen Abhängigkeit verknüpft und drückt sich im Vermögen aus, Freundschaft, Liebe und Vertrauen zu empfinden. Dagegen geht es dem harten Egoismus ausschließlich um den eigenen Vorteil, sei es Macht, Reichtum, Konsum oder Sex.

 

Rufen wir uns Freuds Modell der menschlichen Psyche in Erinnerung, um die psychoanalytische Sicht auf den destruktiven Narzissmus zu verstehen! Freud unterschied drei Bereiche. Einmal sprach er von Trieben, die sich aus angeborenen Affekten und Instinkten bilden und das frühe Verhalten des Kindes steuern. Sie führen beim Kind beispielsweise zu Bindung, Spiel oder Flucht. Mehrfach veränderte Freud sein Konzept zu den Trieben, schlussendlich sprach er von einem Lebens- und einem Todestrieb, von Libido und Aggression. Aus heutiger Sicht spricht man von Affektsystemen, die genetisch gegeben sind und sich neurobiologisch ausdrücken. Zum anderen sah Freud den Bereich der bewussten Erinnerung, Aufmerksamkeit und aller Konzepte, etwa von sich und anderen Menschen, die wir besitzen und ausdrücken können. Freud nahm dazu noch einen dritten Bereich an und bezeichnete ihn als Über-Ich. Damit sind Strukturen gemeint, die unser soziales Verhalten und Empfinden bestimmen und kontrollieren, ohne dass wir sie ausdrücklich formulieren und bewusst machen können. Dies sind steuernde, verinnerlichte Regeln und Gebote und genauso projizierte Eindrücke, die aus der frühen emotionalen Beziehung zu den Eltern hervorgehen.

 

Die Trennung von Trieb, Bewusstsein und höherer, kontrollierende Sphäre ist ein hilfreiches theoretisches Bild und Modell. Die Konzeption des Über-Ichs bedeutet, dass das Denken nicht nur mit den Trieben verhandeln muss, sondern dass sich zudem übergeordnete Strukturen ausbilden, die ein gesellschaftliches Funktionieren unterstützen. Otto Kernberg meint, im Normalfall wäre dieses Über-Ich ein guter Freund. Es gibt die Möglichkeit zu einer realistischen Kritik, sagt einem, dass man in Ordnung ist, auch wenn mal alles nicht so gut läuft, und lässt Werte gelten. Allerdings kann das Über-Ich besonders aufgrund der elterlichen Einflüsse in der sehr sensiblen Kindheit auch zu etwas Strengem, Kontrollierenden, Verbietenden werden, das kein gutes Haar an einem lässt und immer nur mit Kritik da ist, zu Schuldgefühlen führt und Perfektionismus fordert. So kann ein destruktiver und quälender Charakterzug, sich selbst ständig entwerten zu müssen, entstehen. 

  

Freud brachte die moralische Verfassung eines Menschen mit der Entwicklung jenes Über-Ichs in Zusammenhang. Er sprach von einer normalen narzisstischen Phase, die ein Kind durchlebt, wenn es sich als Zentrum der Welt empfindet und alles Interesse auf sich selbst richtet. Beim erwachsenen Menschen lässt sich ein solch narzisstisches Erleben jedoch als Beeinträchtigung und sogar pathologische Entwicklung verstehen. Narzissten erscheinen sich selbst als so grandios, dass sie glauben, niemanden zu brauchen. Dabei kann die narzisstische Persönlichkeit unterschiedlich erfolgreich funktionieren, manchmal sogar sehr gut. Solche Menschen erscheinen stark und mit Charisma und können beruflich beispielsweise als Schauspieler oder Politiker sehr erfolgreich sein. Sie empfinden dann wenig Anlass, sich zu verändern. Erst das zwangsläufige Scheitern echter Beziehungen und das qualvolle Empfinden von Kränkung kann schließlich Einsicht bewirken. Besonders auffällig ist bekanntlich die Sucht, bewundert zu werden. Narzisstische Menschen brauchen oftmals keine Liebe, desto mehr  brauchen sie jedoch Bewunderung. Oft sind sie daher in besonderem Maße auf Dinge wie Schönheit oder Statussymbole ausgerichtet, die diese Bewunderung versprechen. Manchmal zeigen sie neben erhöhtem Selbstbezug und Größenphantasien auch ein demonstrativ selbstsicheres und exhibitionistisches Verhalten und können, da ihr vollkommen angstfreies Auftreten anderen Menschen als Vorbild dient, ein starkes Charisma entfalten. Wenn diese Bewunderung ausbleibt, kann sich der Größenwahn aber plötzlich in Aggression oder auch Unsicherheit und schwere Minderwertigkeitsgefühle wandeln. Eine oftmals hervorstechende Schwäche, die die narzisstische Haltung kennzeichnet, ist der Neid. Um diesen entsetzlichen Neid zu überwinden, wird die narzisstische Struktur aktiviert: Ich habe alles, ich bin alles, ich brauche nichts! Der Neid führt rasch zur Entwertung anderer. Das kann so weit gehen, dass der Narzisst dasjenige, was er eigentlich für sich selbst haben oder sein möchte, zerstören will, schreibt Otto Kernberg. Schließlich besteht eine Unfähigkeit, von anderen wirklich abhängig zu sein, denn Abhängigkeit bedeutet, sich in eine minderwertige Position zu begeben. Jeden Menschen, den sie idealisieren, in den sie sich verlieben, müssen sie entwerten und können so keine dauerhafte Liebesbeziehung aufrechterhalten. Nur den Besten kann man ertragen - aber wenn man so jemand findet, dann zerstört der unbewusste Neid die Beziehung.

 

Nach der psychoanalytischen Theorie beziehen ausgeprägte Narzissten alle idealen Aspekte auf sich, fühlen sich gleichsam göttlich. Jener Bereich, den man als Gewissen und Moral bezeichnet, ist nicht wirklich von der Funktion des Ichs unterschieden. So fehlt es an Vorbildern und reifen integrierten Werten. Kritische Aspekte des Über-Ichs wie Gewissensbisse fehlen dem grandiosen Selbst, stattdessen wird alles, was dieses Selbstbild in Frage stellt, entwertet. Wie kommt es nach dem Modell der Psychoanalyse zu einer solchen Entwicklung? Im Normalfall idealisieren Kinder ihre Bezugspersonen und übernehmen auch deren Ideale. Dabei entwickelt sich ein erstes inneres Wertsystem und Gebote und Verbote werden verinnerlicht. Geschieht dies nicht ausreichend, dann werden Verbote und alles Negative nur im Außen gesucht. Das Über-Ich besitzt kaum kritische Aspekte, sondern erlebt solche Anforderungen allein als von Außen gerichteten Zwang. Es fehlt narzisstischen Menschen daher an reifer Selbstkritik. Sie sind entweder total unkritisch oder schwer verstimmt. Wenn sie glauben, aufgrund ihres unehrlichen Handelns ertappt zu werden, schämen sie sich, anstatt bewusst Schuldgefühle zu erleben. Gebote werden dagegen stark als Teil des Selbst erlebt und bekräftigen die Ansicht, eigentlich alles zu dürfen.

 

 

Maligner Narzissmus

  

Das Destruktive in der Welt lässt sich nicht alleine durch die Existenz verbrecherischer Menschen erklären. Oft braucht es keine Schurken, sondern es reicht schon ein Mangel an Verantwortungsgefühl, um Unheil anzurichten. Auch trägt nicht der Egoismus allein die Verantwortung, wenn Böses entsteht. Denken wir an Gefühle, die dem Vaterland oder der eigenen Gemeinschaft gelten. Fehlgeleitet und im Kriegsgeschehen kommt es zu mordenden Fanatikern, die auch bereit sind, das eigene Leben zu opfern. Ja, es braucht nicht einmal eine besondere Persönlichkeit oder Eigenschaft, damit Böses an den Tag tritt. Genannt sei das vielfach bestätigte Milgram-Experiment, wo ein großer Teil der Probanden aus purem Gehorsam bereit war, Menschen zu foltern. Auch wenn Menschen eine natürliche Veranlagung besitzen, fürsorglich und hilfsbereit zu sein, so bilden sich Werte wie Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit vermutlich erst im Zusammenleben mit gerechten und wahrhaften Menschen. Wird eine Gesellschaft von solchen Werten einmal getragen, führt das dazu, dass viele Menschen sich ehrlich und langfristig verpflichtet fühlen. Wird hingegen unehrliches Verhalten wie beispielsweise Steuervermeidung toleriert, vielleicht sogar für "smart" angesehen, kann dies rasch zu einer Gesinnung führen, wo dann derjenige, der seine Steuern ehrlich abführt, als der Dumme gilt. 

 

Wie schon erwähnt, trägt nicht jede narzisstische Persönlichkeit antisoziale Züge. Viele Menschen mit deutlich narzisstischen Zügen besitzen die Fähigkeit, sich anderen hinzugeben. Sie zeigen Interesse an ihnen und haben fürsorgliche, freundliche Beziehungen, schreibt Otto Kernberg. Trotz ihrer narzisstischen Persönlichkeit können sie in manchen Bereichen vollkommen ehrlich sein und auch gewisse Ideale haben, meint der Psychoanalytiker. Anders sieht es jedoch bei Krankheitsbildern der forensischen Psychiatrie aus. Kernberg: „Die große Gefahr liegt also darin, dass narzisstische Personen öfter ein antisoziales Verhalten entwickeln und dass sich in dem antisozialen Verhalten Aggressionen ausdrücken und diese dann durchbrechen. Bei den schwierigsten dieser Fälle kann dies zu gewalttätigem Verhalten führen.“ Kernberg unterscheidet Grade von Bösartigkeit:

 

  • Narzissmus mit ausbeuterischen Zügen: Hierzu zählen Verhaltensweisen wie Lügen, Ausbeutung, Betrug, Unredlichkeit und Unverantwortlichkeit hinsichtlich Geld. Ausbeuter fühlen sich für das, was sie anrichten, absolut nicht unwohl. Werden Betrügereien aufgedeckt, können sie allerdings Schuldgefühle vortäuschen. Beziehungen mit anderen Menschen können, solange sie dem Ausbeuter Vorteile verschaffen, gut funktionieren.
  • Narzissmus mit aggressiven Zügen: Solche Menschen akzeptieren die eigene Aggressivität und erleben sie nicht als störend. Mit Stolz berichten sie von ihren Wutausbrüchen, die zu Zerstörung und zu schweren Verletzungen führen können. Sie sehen nichts Falsches darin, mit Brutalität zu herrschen. Dennoch handelt es sich um Personen, die zwischenmenschliche Beziehungen eingehen können, auch wenn diese oftmals sehr problematisch verlaufen.
  • Die antisoziale Persönlichkeit: Antisoziales Verhalten meint Bandenbildung, Totschlag, bewaffneten Raub, Schutzgelderpressung etc. Antisoziale Züge zeigen sich nach Kernberg schon in früher Kindheit. Die Fähigkeit zum liebevollen Umgang mit anderen fehlt solchen Menschen vollständig. Beziehungen gründen daher immer auf hartem Egoismus, also auf Ausbeutung, Macht und Gewalt. Es findet sich keinerlei Identifikation mit positiven ethischen Werten, kein Verständnis für Rücksichtnahme und nicht die geringste Hemmung, anderen massiv zu schaden.  

 

Behandlung

 

Um dem eigenen Narzissmus zu entkräften, müssen wir uns um herzliche, uneigennützige Zuneigung zu anderen Menschen bemühen. Indem wir gerne bereit sind, etwas für andere zu tun, erfahren wir einen Nutzen, der nicht im Egoismus liegt. Wenn wir dies verinnerlichen, so entstehen innere Werte. Indem wir uns immer neu auf diese Werte besinnen, bieten wir dem eigenen Narzissmus Paroli. Auch Otto Kernberg bezeichnet den milden Narzissmus als therapeutisch gut behandelbar, sofern Einsicht und Veränderungsbereitschaft bestehen. Die hauptsächliche Problematik liege im Herausschälen des Neids und des Leidens, das dieser ständige Neid verursacht. 

 

Kernbergs Prognosen für die Behandelbarkeit des Narzissmus werden jedoch mit dem Schweregrad der Störung immer reservierter. Er spricht von der Unfähigkeit des Narzissten, sich in eine vom Therapeuten abhängige Beziehung begeben zu können: „Sie sehen die Therapie als eine Behandlung an, die sie für sich selbst machen, und der Therapeut ist gleichsam das Publikum, das sie betrachtet. Oder sie sind vollkommen auf den Therapeuten eingestellt, wollen alles aus ihm herausholen, was er ihnen geben kann – ohne jede Dankbarkeit und ohne es weiter zu verarbeiten, sondern als etwas, das sie sich aneignen und dann selbst besitzen. Zu wirklicher Abhängigkeit sind sie nicht fähig.“ 

 

Für die schwerwiegendsten Störungen verändert sich die Aussicht auf eine erfolgreiche Behandlung dramatisch. Nach Kernbergs Erfahrung sind schwere Psychopathen nicht behandelbar. Deren zerstörerischer Neid richtet sich gegen alle konstruktiven Kräfte und gegen alles Gute. Für den wirklich bösartigen Psychopathen ist eine Beziehung ohne Aggression, Macht und Gewalt nicht vorstellbar. Die Bedrohung, die damit für den Behandler erwächst, verhindert ein therapeutisches Arbeiten und Hinterfragen dieser grundlegenden Überzeugung. Inwiefern eine solche Pathologie bereits aufgrund einer ausführlichen Anamnese erkannt werden kann, entzieht sich meiner Kenntnis. Dies würde zu problematischen Konsequenzen führen. Sicher geht es aber in solch seltenen Fällen besonders darum, die Gesellschaft zu schützen.

 

 

Anmerkungen

 

(1) Die Psychologie kennt eine Reihe von kognitiven Abwehrstrategien, die Menschen in die Lage versetzen, Unangenehmes zu modifizieren, um es erträglicher zu machen. Beispielsweise kann eine unangenehme Aufgabe einfach verdrängt, vergessen oder verleugnet werden. Oder wir können uns selbst dann rationale Gründe für unser Verhalten einreden, wenn dieses schlicht unvernünftig ist. Wir können unerfüllbare Wünsche andersartig ausleben, zornige Gefühle gegen etwas richten, das gar nicht die Ursache dafür ist, unser Gefühl des Begehrens in Missachtung verwandeln, wenn es zurückgewiesen wird, uns mit starken Menschen identifizieren, wenn wir Angst empfinden, Schwächen bei anderen finden und kritisieren, die wir bei uns selbst nicht sehen wollen. 

 

(2) Der Schauspieler Klaus Kinski gibt ein gutes Beispiel für die psychopathische Persönlichkeit. Kinski war in den 1960er, 70er und 80er Jahren ein sehr gefragter Darsteller gefährlich-psychopathischer Figuren. Auch spielte er in fünf Filmen des Regisseurs Werner Herzog,  darunter „Fitzcarraldo“, als Hauptdarsteller. Doch soll uns nicht Kinskis Darstellung eines Psychopathen interessieren, sondern seine Persönlichkeit. Dazu gibt es ein auf YouTube abrufbares filmisches Dokument. Es zeigt Dreharbeiten im Dschungel des Amazonas, wo Kinski unter dem Regisseur Herzog an Fitzcarraldo arbeitete. In der Dokumentation zu sehen ist ein Tobsuchtsanfall Kinskis, mit dem er, im Beisein vieler Indianer, das Team aus völlig nichtigem Anlass terrorisierte. Werner Herzogs Schilderungen zufolge war die Wut Kinskis keine bedauerliche und einmalige Entgleisung. Tagtäglich ergoss sich Kinskis völlig ungebremste und höchst bedrohlich wirkende Aggression über sein Umfeld, beherrschte es und ließ alle Menschen um ihn herum erzittern. Jahre später widmete Werner Herzog eine Dokumentation unter dem Titel "Mein liebster Feind" dem als hochgradig egomanisch erlebten Charakter Klaus Kinskis. Kinski habe auf jede Situation, die ihn nicht ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellte, mit bedrohlicher Aggression und mitunter tatsächlicher Gewalt reagiert, keinerlei Reue empfunden und alle Anzeichen eines Größenwahns besessen. So wird ersichtlich, dass dieser Schauspieler, der vorzugsweise gefährliche Psychopathen verkörperte, selbst nicht anders war.

 

Dessen nicht genug, produzierte sich Kinski in seinem Geltungsdrang und Größenwahn noch zusätzlich für eine Öffentlichkeit, die dies mit fasziniertem Gaffen honorierte. Bei anderen Gelegenheiten konnte Kinski aber durchaus liebenswürdig erscheinen und die so charakteristischen Züge vollkommen verstecken. In späteren Jahren kam ans Licht, dass Kinski, der in seiner Autobiographie eigene, jedoch erfundene Inzesterlebnisse schildert, seine Tochter Paola über Jahre sexuell missbraucht hatte. Kinskis zweite Tochter, Natascha, erklärte dann auch, froh zu sein, dass der Tyrann, der hinter Gitter gehört hätte, tot sei.

 

(3) Einem Gedanken von Richard David Precht folgend sei angemerkt: Freud sah die Funktion des Über-Ichs, der verinnerlichten Werte und der Moral, kaum durch Instinkte und Triebe angelegt. Er betrachtete moralische Gefühle ausschließlich als Ergebnis von Erziehung und Kultur. Es entspricht dem fragwürdigen Bild jener Zeit, Instinkte und Triebe bloß als dunkel und irgendwie böse zu charakterisieren, die Moral hingegen ganz und gar in den Bereich der Kultur zu stellen.

(4) Auch dafür gibt Klaus Kinski ein Beispiel. An Absurdität kaum zu überbieten ist Kinskis öffentliche Rezitation eines Monologs unter dem Titel Jesus Christus Erlöser im Jahr 1971. Dabei handelt es sich um einen von ihm selbst verfassten Text, der die Reden Jesu verwendet. Der als Tournee geplante Monolog wurde vor tausenden Zusehern in Berlin zum Skandal. Ein auf YouTube abrufbares Video zeigt, wie Kinski das skeptische Publikum mit der so typischen Tobsucht beschimpft. Dies nicht als Teil des Stückes, sondern als Ausdruck seines Größenwahns. Die Vermutung liegt nahe, dass Kinski sich selbst als eine Art Jesus sah.

 

Leider ist das Bestreben, sich selbst zum König der Moral zu erklären, gar nicht untypisch für Narzissten. Nicht selten erwecken solche Gurus den Eindruck, sie selbst wären der Mittelpunkt ihrer Lehren. Ihre (nebulosen) Fähigkeiten wären es, die unsagbar tiefes Wissen entstehen ließen. Krishnamurtis Philosophieren etwa suggeriert unentwegt solches Wissen, erzeugt raffiniert Spannung, mehr noch die Verunsicherung seines Publikums, verkauft zuletzt aber bloß eine Freiheit, die Verantwortungslosigkeit meint. Persönlich begegnete  er anderen verachtungsvoll und verheimlichte eigene Schwächen, heißt es. Mitgefühl und Freundlichkeiten wären Krishnamurti fremd gewesen.

 

 

Literatur: 

Otto F. Kernberg: Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus ; Kohlhammer 2016