Dieser Abschnitt gilt den unterschiedlichen menschlichen Gefühlen. Selbstverständlich erleben nicht alle Menschen Gefühle in gleicher Weise. Varianz ist ein grundlegendes Merkmal allen Lebens, das für die natürliche Selektion notwendig ist. Eine solche Varianz gilt auch für unsere Emotionen in ihrer Veranlassung, Dauer und Intensität. Sie bilden sich aufgrund von Veranlagung und sind ebenso durch das familiäre, soziale und kulturelle Umfeld geprägt, aus dem wir stammen. Erst aus dem Zusammenwirken von einfachen Emotionen, Gedanken, Erfahrungen und Prägungen entstehen unsere komplexen Gefühle. So empfinden Menschen sehr unterschiedlich.

 

Wenn wir eine Einteilung menschlicher Gefühle suchen, so bietet sich einmal die allgemeine Tatsache an, dass wir zwischen angenehmen, freudigen Gefühlen und solchen die sich einfach nicht gut anfühlen, unterscheiden. Dabei ist klar, dass wir uns angenehme, freudige Gefühle wünschen. Doch besteht nicht zwangsläufig ein Zusammenhang zwischen dem Wunsch nach einem zufriedenen, glücklichen Leben mit der Weise, wie sich die spontanen Empfindungen, die uns begleiten, jeweils anfühlen. Denn schließlich gibt es eine Schadenfreude, die mit Neid zu tun hat, das lustvolles Herabwürdigen aus Überheblichkeit, die für genussvoll gehaltene Rache für ein vermeintliches Unrecht, die unersättliche Gier und das zwanghafte Rauchen oder Spielen. Manche Empfindungen können also lustvoll erscheinen, beeinträchtigen aber langfristig die Fähigkeit zu wahrer Zufriedenheit oder die Gesundheit und sollten daher als destruktiv eingestuft werden. Dagegen müssen Gefühle wie Traurigkeit, Kummer und Reue nicht ausschließlich destruktiv sein. Auch wenn sie sicher nicht angenehm sind, können sie eine positive Entwicklung anstoßen. So kann uns etwa eine intensive Phase der Trauer schlussendlich zu mehr Verbundenheit mit den Mitmenschen, die ja in ihrem Leben ebenso mit Leid zu kämpfen haben, führen.

 

In Hinblick  auf ein zufriedenes und freudvolles Leben, das in Gemeinschaft gelingen soll, lässt sich folgende Einteilung treffen:

 

  • Gefühle, die hauptsächlich destruktiv sind, wie Hass, Boshaftigkeit, Jähzorn und Habgier.  
  • Gefühle, die nur dann einen destruktiven Charakter annehmen, wenn sie, gemessen an der Situation, aus der sie entstanden sind, unverhältnismäßig heftig sind: Zorn, Neid, Angst, Begehren, Zweifel, Scham, Trauer, Konkurrenz. Hier können wir von einem zwiespältigen Charakter dieser Gefühle sprechen.
  • Gefühle, die dem Überleben und Wohlbefinden dienen.

 

Wie erkenntlich wird, bildet die negative, zerstörerische Eigenschaft, die von manchen Gefühlen für ein gutes, gemeinschaftliches Leben ausgeht, das Kriterium der Einteilung. Häufig entstehen sie aufgrund mangelnder Selbstbeherrschung, erzeugen große Unruhe und schmälern die Urteilskraft. Beispielsweise besitzt Zorn die Tendenz, die Wahrnehmung zu verfälschen, sodass der Betroffene die Situation nicht mehr im größeren Zusammenhang gedanklich erfassen kann. Man kann sagen, dass der Zorn den Verstand raubt. Ein besonders destruktives, ja giftiges Gefühl ist der Hass. Dabei geht es um den andauernden, intensiven und konzentrierten Wunsch, zumeist einer anderen Person Schaden zuzufügen. Der Hass führt neben dem Unheil für andere in aller Regel auch zum eigenen Schaden, etwa durch nicht enden wollenden Ärger. 

 

Von den Gefühlen, die wir sehr deutlich erleben, lassen sich Stimmungen unterscheiden. Während Gefühle rasch kommen und gehen, sind Stimmungen von längerer Dauer und können unserer bewussten Aufmerksamkeit verborgen bleiben. Stimmungen liegen oft unserer Befindlichkeit als generelle Färbung zugrunde. Sie können für zornige Impulse, genauso aber auch für Freudenausbrüche empfänglich machen. Umgekehrt können erfreuliche Ereignisse oder schlechte Nachrichten wiederum unsere Stimmung beeinflussen, aufhellen oder aber trüben. Beispielsweise kann uns Zorn spontan erfassen. Ihm liegt manchmal eine zeitlich ausgedehntere Unzufriedenheit zugrunde. Diese Unzufriedenheit lässt sich vielleicht als eingeschlossenes Gefühl interpretieren. Sie kann manchmal durch ein einfaches Gespräch bereinigt werden oder aber tief verwurzelt sein. Die Stimmung selbst steht mitunter in Zusammenhang mit emotionalen Eigenschaften, die unsere Persönlichkeit ausmachen und uns Jahre begleiten. Gefühle, Stimmungen und emotionale Veranlagungen können als verwandte Phänomene von unterschiedlicher Dauer betrachtet werden. Es gibt daher keinen grundlegenden Unterschied in der Art des Umgangs.

 

Wir werden die Destruktivität mancher Gefühle besprechen – dies auch in Hinsicht auf die persönliche Situation in der Schule. Denn im schulischen Alltag bildet das soziale Lernen, wozu der Umgang mit eigenen Empfindungen wie Zorn, Ungeduld oder Frustration gehört, eine, neben dem fachlichen Wissenserwerb, wichtige Aufgabe. Jene Gefühle mit einem dualen Charakter, die also nur dann wirklich destruktiv sind, wenn sie unverhältnismäßig heftig auftreten, werden wir zunächst genau unter die Lupe nehmen.

 

Zorn

 

Sicher hatte der Zorn eine ursprünglich wichtige biologische Funktion. Wenn wir angegriffen werden und uns, ohne lange nachzudenken, wehren müssen, hilft er, alle Kräfte zu mobilisieren. Zorn kann Energie und Entschlossenheit bringen, sich etwa gegen ein Unrecht zu wenden. Handelt es sich dabei um ein tatsächliches Unrecht gegen uns oder andere, dann ist das Gefühl der Empörung sicher hilfreich und sinnvoll. Dennoch ist die Energie, die der Zorn verleiht, häufig nicht hilfreich. Denn:

 

  •  Wir sehen nur noch die negativen Eigenschaften am Objekt unserer Wut
  •  Unser Urteilsvermögen von richtig oder falsch ist eingeschränkt
  •  Wir verlieren die langfristigen Folgen unseres Handelns aus dem Blick
  •  Wir handeln nicht zu unserem eigenen Besten und
  • oft bedauern wir im Nachhinein, was wir gesagt oder getan haben

 

Dies gilt natürlich auch für den pädagogischen Bereich, für die Schule. Ein Klima zorniger Kommunikation fördert provokantes Verhalten. Zornige Verhaltensweisen schaukeln sich auf und neigen zur Eskalation. Natürlich kann man Gefühle von Ärger und Ablehnung nicht immer vollständig beherrschen. Wir sollten uns aber im Klaren sein, wie untauglich diese Reaktionen sind, wenn wir uns herausgefordert fühlen.

 

Besonders der Jähzorn kann sich als gefährlich erweisen. In der Regel überrollt er in Zusammenhang mit einer gereizten oder frustrierten Stimmung. Ist der jähe Zorn einmal in Gang gesetzt, kommen Impulse auf, die in Gedanken, Worten, Körperbewegungen und Handlungen umgesetzt werden. Die Kontrolle und die Möglichkeit, etwas neu zu überdenken, sind dann deutlich eingeschränkt.  Kurz: wir sagen oder tun Dinge, die wir später bereuen. Wenn wir jedoch in einer kritischen Stimmung wachsam bleiben und feste Überzeugungen über die negativen Folgen des Ärgers besitzen, kann dies helfen, den Jähzorn abzufangen und abzufedern, sodass es zu keinen schwerwiegenden Fehlern kommt.

 

 

Stolz

 

Stolz meint ein Gefühl erhöhter Selbstachtung aufgrund einer erbrachten Leistung oder Eigenschaft. Er gründet hauptsächlich in der Vorstellung eines hohen Ansehens in den Augen anderer beziehungsweise der Vorstellung gesellschaftlichen Ansehens. Körperhaltung, Mimik, Gestik, die mit dem Stolz mitunter einhergehen, lassen vermuten, dass es die ursprüngliche Funktion des Stolzes war, sozialen Status zu signalisieren. Solche Signale werden in allen Kulturen erkannt. Zugleich bedingen kulturelle Prägungen, ob Menschen sich in ihrem Auftreten eher bescheiden geben oder aber von Kind an lernen, auf ihre Qualitäten hinzuweisen. Man denke etwa an die deutlichen Unterschiede zwischen der japanischen und der amerikanischen Kultur. Stolz kann aber auch dazu dienen, einen niedrigen gesellschaftlichen Status erträglicher zu machen: „Zwar bin ich arm, doch habe ich meinen Stolz…“ Das kann so weit gehen, dass man sich nicht helfen lässt, weil man zu stolz ist.

 

Indem Stolz also mit Selbstachtung in Verbindung steht, weist er auf die ausgesprochen positive Eigenschaft eines starken Selbstvertrauens, das einen stolzen Menschen Herausforderungen annehmen lässt und das Gefühl gibt, ihnen gewachsen zu sein. Er kann allerdings auch mit einem prinzipiell minderen Selbstvertrauen zu tun haben, das mit Arroganz überspielt wird.

 

Extremer Stolz kann auf einer fatalen Selbstüberschätzung beruhen. Alles, was dieses geliebte Selbstbild dann ins Wanken bringen könnte, wird mit Geringschätzung, vielleicht sogar mit Feindschaft beantwortet. Vermutlich dachte Thomas von Aquin, der bedeutendste christliche Philosoph des Mittelalters, an den extremen Stolz, als er den Stolz und den Hochmut eine Hauptsünde nannte. Modern sprechen wir in Zusammenhang mit dem Narzissmus vom Fehlen eines echten Wertehorizonts und der Unfähigkeit, Beziehungen gegenseitiger Abhängigkeit einzugehen. Sündhaft wird dies, wenn es in seltenen Fällen zu Ausbeutung, Betrug und systematischer Aggression kommt.

 

In jedem Alter, auch in der Schulzeit, ist es von großer Bedeutung, eigenständig gut begründete Werte zu finden und in sich zu festigen. Dies verhilft zu einer gewissen Unabhängigkeit von den manchmal zufälligen Präferenzen des jeweiligen Umfelds. Beispielsweise kann der Freundeskreis sehr materiell orientiert sein und vielleicht gibt es dann eine versteckte Geringschätzung für solche, die da nicht mithalten können. Häufig ist es jedoch so, dass wir in viel größerem Maß unsere eigene Unzufriedenheit oder Unsicherheit projizieren, wenn wir anderen Geringschätzung unterstellen.

 

Grundsätzliche Wertschätzung sollte natürlich besonders von den Menschen aus dem persönlichen Umfeld kommen, deren Ansichten wir naturgemäß am höchsten gewichten. Und natürlich wäre die Rede von einer gänzlichen Unabhängigkeit von fremden Werturteilen illusionär. In einem Umfeld, das uns die Anerkennung gänzlich versagt, werden wir kaum glücklich sein. Was den Stolz betrifft, der ja aus dem Vergleich mit den anderen resultiert, so stellt dieser einen wichtigen Motivationsfaktor, sich besonders zu bemühen, dar. Sicher ist es aber ratsam, den eigenen Stolz auch kritisch zu hinterfragen. Beispielsweise kann der Rückblick zeigen, dass eine Leistung, auf die wir so stolz waren, gar keine besondere Qualität hatte.

 

Der unangemessene Stolz bildet gewissermaßen die Kehrseite des übertriebenen Zweifels. Beide können eine realistische Wahrnehmung und gelungene Interaktion mit anderen Menschen sehr beeinträchtigen. Ideal wäre daher die Fähigkeit, unsere Leistung an jedem Arbeitstag kritisch hinterfragen zu können, und, wenn wir unserem Maßstab gerecht wurden, auch Stolz und Befriedigung empfinden zu können.

 

 

Zweifel

 

Denken wir an einen Trafikanten, der seinen Beruf als wertlos empfindet, da die von ihm verkauften Tabakwaren die Gesundheit seiner Kunden schädigen. Er empfindet unangenehmen und bohrenden Zweifel. Schließlich findet er zu einer anderen Überzeugung – oder aber er wechselt den Beruf. Zweifel kann zum Nachdenken motivieren - vielleicht sind unsere Werte sogar durchwegs das Resultat vom Ablegen unerwünschter Überzeugungen.

 

Grundsätzlich versetzt der Zweifel uns in die Lage, nachzufragen, um etwas zu verstehen. Ein gewisses Maß an Skepsis ist gesund und weckt die Bereitschaft, sich mehr Wissen anzueignen, Situationen zu verbessern oder die eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Für das Zusammenleben ergibt sich daraus eine konstruktive Rolle. Übertrieben ist der Zweifel an sich selbst dann, wenn er zur permanenten Suche nach eigenen Fehlern und Schwächen oder zur übertriebenen Scham wegen eines vermeintlichen Mangels wird. Ein solcher Zweifel kann lähmen und handlungsunfähig machen und eine niedrige Achtung und Selbstachtung mit sich bringen,  schlussendlich sogar zu ständiger Frustration führen. Geht der Zweifel aber soweit, dass wir uns selbst ablehnen, hat dies zudem auch eine sehr negative Auswirkung auf die Fähigkeit, anderen Menschen hilfreich zu begegnen.

 

Der unverhältnismäßig heftige Zweifel bedarf unter Umständen einer Behandlung, etwa wenn es sich um eine ernste Depression handelt. Hier ist als mögliche Behandlungsmethode die Kognitive Verhaltenstherapie zu nennen, ein Hauptzweig der modernen Psychotherapie, deren Begründer ist Aaron Beck. Beck unterschied hinsichtlich des übertriebenen, destruktiven Zweifels drei Felder, nämlich Selbst, Welt und Zukunft. Bezogen auf die Schule könnten solche destruktiven Grundannahmen lauten:

 

  • Ich schaffe den Gegenstand nicht. Ich verstehe absolut nichts.
  • Schule ist sinnlos.
  • Ich werde auch in Zukunft keine Freude daran finden.

 

Solche allgemeinen Überzeugungen oder, wie Beck sie nennt, Schemata, führen naturgemäß dazu, dass belastende Situationen sehr schnell dramatisiert werden. Es kommt in solchen Situationen zu kognitiven Verzerrungen und Fehlinterpretationen. Ereignisse beispielsweise, die vielleicht bloß unerfreulich sind, jedoch keinen langfristigen Schaden bedeuten, werden  verzerrt wahrgenommen und als niederschmetternd empfunden. Zugleich werden solche vermeintlichen Katastrophen wiederum als Bestätigung der eigenen skeptischen Grundannahmen gewertet. Im schlimmsten Fall kann eine kognitive Negativspirale das Feld der Gedanken immer stärker verengen, wie dies beim Geschehen einer Depression festzustellen ist. Aaron Beck hat die kognitive Therapie ursprünglich für die Psychotherapie der Depression entwickelt.

 

Tatsächlich ist es aber so, dass auf den ersten Blick unerfreuliche Ereignisse häufig ebenso auch positive Qualitäten besitzen. Der neue Klassenkamerad, der zuerst so schwierig wirkt, kann sich später als Gewinn für die Gruppe herausstellen, die Klasse wiederholen zu müssen, mag zu besonders erfreulichen Erfahrungen führen usw. Da Geschehnisse solcher Art immer vielfältige Auswirkungen haben, ist es zumeist keine realitätstaugliche Sicht, sie alleine negativ zu werten oder eine Veränderung zum Positiven auszuschließen. Das Bemühen, Situationen und Probleme aus möglichst vielen Blickwinkeln oder Standpunkten zu betrachten, lässt sich als realistischer Ansatz bezeichnen. Ein solch realistischer Ansatz inkludiert auch das Streben nach Hoffnung und Optimismus, da eine solche Haltung die Voraussetzung dafür bildet, in schwierigen Situationen einen flexiblen und kreativen Geist zu bewahren. Als positive Gestimmtheit wirkt der Optimismus dem Tunnelblick, den der übertriebene Zweifel hervorrufen kann, entgegen.

 

In gewisser Hinsicht gilt dies sogar für die wirklich tragischen Ereignisse, die nicht leicht an ebenso positive Qualitäten denken lassen. Hier müssen wir uns bemühen, eine positive Aufwärtsspirale in Gang zu bringen. Dafür braucht es Ziele, die wir mit tiefer Überzeugung setzen. Eine mögliche Antwort, worin Hoffnung und Optimismus bestehen, meint daher, dass wir Ziele besitzen müssen, die uns über das alltägliche Geschehen hinaus eine Perspektive geben. Wichtig ist, dass es sich dabei um solche Ziele handelt, die wir auch aus einem weiten Blickwinkel für wertvoll halten. Da wir vom Wert des Ziels überzeugt sind und Sinnhaftigkeit erleben, werden wir diszipliniert daran arbeiten und uns nicht so bald durch Schwierigkeiten entmutigen lassen.

 

 

Neid

 

Bekannt ist ein Experiment, wo Schimpansen für erledigte Aufgaben ungerecht belohnt wurden – die einen mit Gurkenstücken und die anderen mit den viel begehrteren Rosinen. Wutausbrüche der Affen waren das Ergebnis. Besitzen Affen Verständnis für Ungerechtigkeit oder empfinden sie bloß Neid? Die Unterscheidung ist nicht leicht zu treffen. So wird auch der politischen Forderung nach mehr Umverteilung des Wohlstandes über Steuern mit dem Vorwurf des Neides und der Neidgesellschaft begegnet. Die Fordernden  sprechen dagegen von Verteilungsgerechtigkeit.

 

Zudem lässt sich Neid von Konkurrenzdenken unterscheiden, dem durchaus eine konstruktive Funktion zukommt, indem es Ansporn ist, sich besonders zu bemühen. In der Wirtschaft führt dies zu Effizienz und hat einen positiven Motivations- und Kosteneffekt. Dabei soll es sich jedoch um einen fairen Wettbewerb handeln, der Arbeitnehmer durch einen Kollektivvertrag schützt und sich an Spielregeln hält.

 

Hingegen läuft der pure Neid im Wesentlichen auf das Gefühl der Unzufriedenheit hinaus, das sich aus dem Vergleich mit anderen ergibt. Besonders ist auf die Gefahr der Rivalität hinzuweisen, wo es schlussendlich nur mehr darum geht, den anderen auszustechen und zu übertrumpfen. Beneiden wir etwa unseren Vorgesetzten um seinen Job, so sollte uns dies nicht dazu verführen, seine Leistungen ungerechtfertigt herabzuwürdigen und ihn insgeheim zu bekämpfen. Für die menschliche Gemeinschaft, sei es in der Schule oder am Arbeitsplatz, hat Unparteilichkeit große Bedeutung. Wenn wir uns selbst bei scheinbaren Kleinigkeiten um Gerechtigkeit bemühen, schaffen wir ein wohltuendes Klima, das keinen Anlass gibt, aufeinander neidisch zu sein.

 

 

 

 

Negative Wirkungen

 

Wut, Neid, Eitelkeit bzw. Stolz und Zweifel - worin besteht ihre negative Wirkung? Einmal geht es um Beziehungen zu anderen Menschen, die, wenn diese Gefühle verhindern, dass wir unsere positiven Seiten zum Ausdruck bringen, getrübt oder gar zerstört werden können. Dabei leidet natürlich ebenso das eigene Wohlbefinden. Ja, sogar die Gesundheit kann früher oder später durch ständige Aufregung beeinträchtigt werden. Im Zustand der Erregung gelingt kaum etwas. Besonders wichtig zu wissen ist aber, dass diese Erregungen die geistige Urteilskraft beeinträchtigen, damit auch unseren Möglichkeiten und Freiräume, überlegt zu reagieren und passend zu handeln. Beispielsweise zwingt der Zorn praktisch dazu, eine feindliche Haltung einzunehmen. Das kann gegen unseren eigentlichen Willen passieren und ist im Grunde nutzlos. Können wir beispielsweise das Problem provozierenden Verhaltens dadurch lösen, dass wir wütend werden? Trägt der Provokateur damit nicht eine Art Sieg davon? Denn, indem wir voll Ärger sind, quälen wir uns selbst. Schließlich kommt noch die Tendenz destruktiver Gefühle hinzu, sich automatisch auszuweiten – je mehr wir uns Gewohnheiten überlassen, umso stärker werden sie.

 

So untergraben die genannten Gefühle unsere Fähigkeit, mit anderen Menschen konstruktiv zu wirken – in Schule, Freundeskreis und Familie. Sie stehen dem Gelingen von Beziehungen und ebenso unserem eigenen Wohl im Wege. Es ist daher wichtig, die negativen Auswirkungen in ihrem ganzen Ausmaß zu erkennen und zu einer tiefen Überzeugung gelangen, wie sinnlos und untauglich sie als Reaktion auf Herausforderungen jeglicher Art sind. Diese Erkenntnis lässt sich als erster Schritt bezeichnen, um erfolgreich gegen destruktive Emotionsformen anzukämpfen. Das genaue Betrachten der destruktiven Tendenzen lasse uns eine Haltung des Widerstands und die Überzeugung, sie überwinden zu wollen, entwickeln. Indem wir also Wachsamkeit entwickeln, können wir frühzeitig erkennen, dass wir "Schutz" benötigen, wenn wir von solch starken Gefühlen befallen werden. Denn beispielsweise kann schon ein kurzer Augenblick unkontrollierten Zorns bewirken, dass wir dumme Dinge tun oder sagen, die Schaden anrichten.

 

Für die so schwierige Aufgabe, unseren persönlichen negativen Tendenzen, geistigen Gewohnheiten und Charaktereigenschaften zu begegnen und das destruktive Potential zu mindern, kann die Strategie hilfreich sein, zu versuchen, die positiven Eigenschaften, die ebenso in uns angelegt sind, zu verstärken – gleichsam Negatives durch Positives ersetzen:

 

  • Mehr Geduld als Mittel gegen den Hang zum Zorn,
  • Zufriedenheit wirkt gegen die Neigung zum Neid,
  • Güte gegen Hass
  • tieferes Verständnis gegen die unterschiedlichen Formen übertriebenen Zweifelns, Kritisierens und Schlechtredens

 

Zweitens sollten wir nicht äußeren Bedingungen die Schuld, besonders für unseren Ärger, zuschreiben. Wenn diese Vorfälle nicht wären, so denken wir, hätten wir keinen Grund, aggressiv, verstimmt oder frustriert zu sein. Einerseits stimme es natürlich, dass wir auf äußere Ereignisse reagieren. Doch genauso haben unsere Reaktionen immer ganz wesentlich mit uns selbst zu tun. Weitgehend bestimmen also unsere eigene Perspektive, unsere innere Einstellung und unsere emotionalen Gewohnheiten darüber, wie wir reagieren. Ob nun aber diese Reaktionen übertrieben und damit realitätsfern sind, könnten wir nur feststellen, wenn wir nicht immer und überall den anderen oder den Umständen die Schuld geben. Fühlen wir häufig in der gleichen destruktiven Weise? Solche Gewohnheiten zeigen sich nur dem Blick ins eigene Innere. Auf die Schule bezogen meint dies beispielsweise Lehrer, die als unfair, oder Schüler, die als desinteressiert, oder Eltern, die als zu kritisch erlebt werden. Sie sind schuld, wenn wir uns schlecht fühlen! Dabei entgeht uns aber vielleicht die Rolle, die wir selbst dabei spielen. Ist dem aber so, dann sollten wir kritischer gegen uns selbst werden. Und sicher ist auch hilfreich, wenn es gelingt, eine gewisse Toleranz gegenüber schwierigen Situationen und Ereignissen zu entwickeln, um sich nicht nur als Opfer widriger Umstände zu erleben. Schließlich wäre es doch eine Illusion zu denken, es gäbe einen bleibenden Zustand, der keinerlei Anlass zur Frustration bereithalten würde. 

 

Zu Wut, Neid, Eitelkeit und übertriebenem Zweifel kommen noch weitere Gefühle, die ebenso nicht ausschließlich als negativ gelten können, aber unter Umständen eine destruktive Wirkung entfalten.

 

 

Schuld

 

Das Phänomen Gewissen zeigt sich häufig in Zusammenhang mit Selbstvorwürfen, zumeist weil wir befürchten müssen, anderen geschadet zu haben. Es ist zu unterscheiden von der puren Scham, die besonders dann massiv entsteht, wenn uns ein Vergehen nachgewiesen wird, ans Licht kommt und unser Ruf ernsten Schaden nimmt. Das Gewissen lässt uns jedoch unabhängig von solchem Druck verantwortungsvoll handeln und Verfehlungen auch dann bereuen, wenn keine negativen Konsequenzen drohen.

 

Der Grund hierfür liegt in einem Pflichtbewusstsein, das aus innerer Überzeugung handeln lässt. Es steht in Verbindung mit der Selbstachtung und lässt Vorwürfe entstehen, wenn wir dem Selbstbild nicht gerecht werden. Dieser Maßstab für unser Urteil ist durch das familiäre, kulturelle und berufliche Umfeld geprägt und steht in Zusammenhang mit inneren Werten und sozialen Gefühlen, mitunter auch religiösen Überzeugungen. Beispielsweise ist die Rücksichtnahme auf andere Menschen tief in uns verwurzelt. Die Unfähigkeit, eine solche Schuld zu empfinden, ist das Zeichen einer schweren sozialen Störung.

 

Von berechtigter Scham und Reue ist die mögliche Tendenz, kein gutes Haar an sich zu lassen, sich selbst unentwegt zu kritisieren und nieder zu machen zu unterscheiden. Der Begriff Gewissen sollte nicht allzu sehr mit dem Charakterzug einer quälenden Strenge gegen sich selbst assoziiert werden, sondern als eine Instanz gelten, die besonders dann zu Schuldgefühlen führt, wenn anderen Menschen klar geschadet wurde. Die Psychoanalyse bringt das Gewissen in Verbindung mit dem Über-Ich. In einem Vortrag meinte der Psychoanalytiker Otto Kernberg, im Normalfall wäre das Über-Ich ein guter Freund. Es gibt die Möglichkeit zu einer realistischen Kritik, sagt einem, dass man in Ordnung ist, auch wenn mal alles nicht so gut läuft, und lässt Werte gelten.

 

Das Leben mit seinen zahllosen Problemfeldern führt uns in Situationen, die kaum fehlerlos zu bewältigen sind. Eine falsche Beurteilung, unglückliche Fügung oder etwas Unachtsamkeit können bereits ausreichen, um ernsten Schaden entstehen zu lassen. Beispielsweise braucht ein Turnlehrer viel an der Praxis geschultes Know-how, um wirklich alle Gefahrenquellen für betreute Kinder rechtzeitig wahrzunehmen. Dennoch kann es passieren, dass diese erst bewusst werden, wenn ein Unfall bereits geschehen ist. Es bedarf dann einer restlos ehrlichen Analyse. Eine solche Reflexion kann ergeben, dass innerhalb eines komplexen Geschehens das eigene Handeln fehlerhaft war. So leicht kann es passieren, dass wir mit Schuld umgehen müssen.

 

Wie ist mit echter Schuld umzugehen? Schuldgefühle sind wichtig. Ebenso wichtig ist jedoch, sich selbst auch verzeihen zu können. Gehört das Geschehen zur Gänze der Vergangenheit an, gibt es also keine Möglichkeit mehr, etwas daran zu ändern, wäre eine permanente Qual nutzlos und ausgesprochen ungesund. Wiedergutmachung entsteht dadurch, dass wir uns innerlich und wahrhaftig bessern. Aus Sicht der Religionen ist zudem gefordert, gute Taten folgen zu lassen.

 

 

Trauer

 

Trauer ist dort am intensivsten, wo es sich um den Tod eines nahestehenden Menschen handelt. Mit dem Tod eines unersetzlichen Menschen wird die Quelle von Verbundenheit und Freude von uns gerissen, was ein tiefes Gefühl der Einsamkeit und des Verlustes bringt. Doch ist beispielsweise der Tod der eigenen Eltern ein „normales Ereignis“ in Hinsicht auf ein Menschenleben und die damit verbundene Trauer sollte daher auch zu bewältigen sein. Es scheint sogar, als würde diese „normale“ Trauer helfen, nach angemessener Zeit mit dem Verlust fertig zu werden! Insofern ist sie gut für uns, auch wenn sie ganz sicher nicht angenehm ist.

 

Um Trauerarbeit erfolgreich zu leisten, ist eine positive Grundeinstellung sicher hilfreich. Doch können wir uns auf den emotionalen Prozess der Trauer nicht vorbereiten, sondern müssen uns der Trauer stellen, wenn das Ereignis eintritt. So schlimm es ist, sollte es dennoch nicht zu Hass und Verzweiflung führen. Die destruktive Seite der Trauer findet sich dementsprechend dort, wo wir ihrer lähmenden Wirkung längerfristig nichts entgegensetzen können, der Kummer sich verselbstständigt und zu einer Art geistiger Gewohnheit und Krankheit wird.

 

Dagegen kann Trauer aber auch einen Prozess der emotionalen Reifung anstoßen. Denn Leid kann helfen, das Gefühl der Verbundenheit mit den Menschen in unserem Umfeld zu vertiefen und Verständnis für deren Nöte zu entwickeln. Wenn dies gelingt, so bedeutet es zweifellos einen Gewinn an Bewusstheit, Einfühlungsvermögen und innerem Reichtum, zu dem die Trauer verholfen hat.

 

Der Tod wird in unserer Gesellschaft wenig thematisiert, da die Wissenschaft keine Antwort auf die Frage, was nach dem Tod kommt, geben kann. Ab einem gewissen Alter sind Gedanken an den eigenen Tod oder den Tod Nahestehender jedoch unvermeidlich und naheliegend. Hier wegzusehen und diese Besorgnis einfach zu verdrängen dürfte aber kaum zu einem zufriedenen Geisteszustand führen. Vielleicht steht dies in Zusammenhang mit einer Form der Unersättlichkeit und einem starken Bedürfnis nach Ablenkung, das gesellschaftlich auftritt.

 

Oftmals hat menschliche Wärme größte Bedeutung für Menschen am Ende ihres Lebens. Dies ist eine wichtige Tatsache. In der Konfrontation mit Sterblichkeit und Tod sollten wir uns nicht von Trauer überwältigen lassen. Nur so können wir Unterstützung geben, die gerade für die allerletzte Lebenszeit so enorm wichtig ist. Es braucht dafür die Besinnung auf echte Werte wie Liebe und Mitgefühl. Auch die gemeinsam geteilte Hoffnung auf etwas Besseres nach dem Tode, wie sie der Glaube gibt, ist sicher hilfreich. (1)

 

 

Angst

 

 

Wir verwenden den Begriff Angst sowohl in der Bedeutung von Furcht als auch in derjenigen von großer Sorge. Sorge unterscheidet sich von Furcht insofern, als sie zu stark erhöhter Wachsamkeit veranlasst, um mögliche Bedrohungen wahrzunehmen. Sie lässt die Umwelt ständig mustern, um zu verstehen, warum man sich besorgt fühlt. Beispielsweise werden die meisten Menschen Furcht empfinden, wenn sich ein gewaltbereiter Mensch zornig nähert. Später kann die Aussicht, diesem Menschen wieder begegnen zu müssen, Angst im Sinne von großer Sorge auslösen. Kommt es dann tatsächlich zum Kontakt mit diesem Menschen, lässt die Besorgnis wiederrum sehr rasch die Symptome der Furcht entstehen.

 

Im ursprünglichen Kontext der Lebenserhaltung stellt Furcht eine Reaktion auf eine konkrete Bedrohung dar und führt bei den meisten Tieren zur Flucht, im Notfall zum Kampf. Dabei ist – biologisch und funktionell betrachtet – der Energieaufwand für die vorsorgliche Flucht vor einer vielleicht nur vermeintlichen Gefahrensituation gering, wogegen eine übersehene Bedrohung das Leben kosten kann. Daher kommt die Option Flucht rasch zur Anwendung, um in veränderter Situation ebenso schnell wieder zu verlöschen und dem Erkundungsverhalten zu weichen. Auch beim Menschen weisen die normalen Körperreaktionen bei Angst auf Fluchtbereitschaft und Kampfbereitschaft hin. So erhöhen sich die Aufmerksamkeit, die Seh- und Hörleistung, die Muskelanspannung und Energiebereitstellung, der Blutdruck, die Atemfrequenz, wogegen Blasen-, Darm und Magentätigkeit gehemmt werden.

 

Selbst beim Menschen dürften gewisse Ängste bereits als biologisch eingeschriebene Neigung bestehen, etwa für die Angst vor wütenden Gesichtern, Spinnen oder Schlagen. In aller Regel handelt es sich bei Ängsten jedoch um gelernte Verknüpfungen mit Situationen. Dabei kann sie sich auf sehr konkrete Angelegenheiten oder konkrete Situationen beziehen oder einen allgemeinen Zustand großer Besorgnis und weitläufiger Bedrohungsgefühle meinen, die etwa der Gesundheit, der Selbstachtung oder dem Selbstbild gelten. Als Sonderphänomen tritt noch die Angst vor der eigenen Furcht hinzu, wo die eigenen Symptome der Angst wie Herzrasen, Schweißausbrüche, Konfusion im Denken, Schwindel, inneres Erstarren, Übelkeit, Atemnot  als unerwünschte Reaktionen so sehr gefürchtet werden, dass sie zusätzliche Besorgnis verursachen.

 

Wie schon am Beispiel Zorn beschrieben, stehen Gefühle mit weitläufigeren Stimmungen in Wechselwirkung. Gefühle und Stimmungen können einander ebenso verstärken wie mildern. Es ist nur menschlich, dass wir alle Bereiche unseres Lebens - Familie, Beruf, Zukunftspläne, Gesundheit, Liebe  - je nach innerer Verfassung unterschiedlich beurteilen. Etwa kann eine prekäre finanzielle Lage an manchen Tagen ängstigen, während es an anderen Tagen mühelos gelingt, sie einfach zu verdrängen. Auch eine sehr belastete Stimmung, die auf ein Erlebnis von intensiver Furcht folgen kann, lässt sich als Angst interpretieren.

 

Gefühle und Stimmungen stehen wiederum mit den relativ stabilen Eigenschaften der Persönlichkeit, beispielsweise mit einer Neigung zur Ängstlichkeit, in Wechselwirkung. Diese Disposition bringen wir von Geburt an mit. Sie ist aber schon ab dem Kleinkindalter und noch lebenslang durch entsprechende Lernprozesse erheblich veränderbar. Dementsprechend unterschiedlich ist auch der beobachtbare Umgang mit Angst. Gefahren können verdrängt, geleugnet oder bagatellisiert werden, oder aber stark übertrieben wahrgenommen werden. Manche Menschen vermeiden möglichst alles, was Angst machen könnte, andere dagegen suchen bewusst riskante Herausforderungen und wollen sich heldenhaft fühlen. Sie sind von ihrer Kompetenz hinsichtlich der Gefahrensituation überzeugt und wollen deren Bewältigung und die Überwindung ihrer Aufregung lustvoll und befreiend erfahren.

 

Jede Form von Furcht und Angst kann an Intensität, Dauer und Häufigkeit übermäßig zunehmen und zu einem Zustand quälender Beeinträchtigung werden. Kommt es dabei zu einem Erleben, das der Realität gar nicht angemessen ist, sich aus den Gegebenheiten der Umwelt kaum noch ausreichend erklären lässt, erhalten Furcht und Angst den Charakter einer Störung. Dabei werden in der Klassifikation folgende Störungsbilder unterschieden: generalisiertes Angstdenken, posttraumatische Zustände, soziale Phobien, spezielle Phobien sowie Panikstörungen. Zudem spielt Angst in Verbindung mit anderen Erkrankungen wie Depression, Schizophrenie und Borderline eine Rolle. Solche Angststörungen sind der mit Abstand häufigste Grund, weshalb Menschen therapeutische Hilfe suchen.

 

Konfrontation mit Furcht:

 

Wie ist der Furcht zu begegnen? Nicht immer lassen sich Situationen, die uns ängstigen, vermeiden. Praktische Gründe können eine Konfrontation mit unserer Furcht erforderlich machen. Etwa lässt die Sorge vor einer Infektion den Kontakt mit Erkrankten vermeiden. Ist jedoch ein Angehöriger zu pflegen, dann gilt es, diese Sorge zu überwinden, um zum Wohl des Erkrankten handeln zu können. Genauso kann Angst auch die eigene Lebensqualität und Selbstverwirklichung einschränken, beispielsweise als übermäßige Schüchternheit, die verhindert, ein Gespräch zu beginnen.

 

Naturgemäß ist eine Konfrontation mit der eigenen Furcht besonders dann sinnvoll, wenn Furcht, Sorge und Angst zum größten Teil auf innerer Projektion beruhen und durch keine echte Gefährdung veranlasst werden. Teilt die realistische Einschätzung ein tatsächlich geringes Gefahrenpotential mit, kann, soweit es die Umstände zulassen, eine Strategie zur Konfrontation entwickelt werden. Unter Angstforschern ist allgemein bekannt, dass Furcht und Ängste von Menschen häufig irrational sind und sich durch Rückgriff auf logische Überlegungen allein nicht sonderlich gut abwandeln lassen. Menschen, die sich davor fürchten, mit dem Aufzug zu fahren oder in ein Flugzeug zu steigen, wissen rational ganz genau, dass nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit einer Schädigung besteht, aber dieses bewusste Wissen gewinnt nicht die Oberhand über die implizite Verhaltenssteuerung und das daraus erwachsende Gefühl von Furcht und Angst.

 

Die Therapierichtung der Verhaltenstherapie widmet sich den Problemen eines Konfrontationsverfahrens. Im Wesentlichen geht es dabei darum, mittels der Konfrontation eine Diskrepanz zwischen einer angstauslösenden Situation und der real in der Situation empfundenen Furcht erlebbar zu machen. Bringt die Konfrontation mit der angstauslösenden Situation also eine erträgliche Erfahrung, kommt es zur Auslöschung der mit der Erwartung verbundenen Angst sowie der antrainierten, automatischen Furcht. Damit besteht weniger Veranlassung, solche Situationen in Zukunft zu meiden. Die künftig erlebten Emotionen sollten nun der Situation besser angepasst sein. Beispielsweise kann die Erfahrung grauenhafter Übelkeit aufgrund einer Schifffahrt auf stürmischer See beim Betroffenen einen großen Widerwillen erzeugen, in Zukunft ein Boot auch nur zu betreten. Die Konfrontation könnte bedeuten, sich auf die Erfahrung einer Schifffahrt bei ruhiger See einzulassen. Sofern dies zu einer angenehmen, entspannten Erfahrung führt, besitzt diese neu geschaffene Erinnerung hinsichtlich ruhiger See keine Assoziationen, die Furcht auslösen und das Vermeiden jeder Bootsfahrt erzwingen. Die ursprüngliche Erfahrung wird somit abgewandelt und die irrationalen Aspekte des Widerwillens, sich in eine solche Lage zu begeben, werden gelöscht. Hilfreich dafür ist die Schaffung solcher Konfrontationssituationen, die eine möglichst große Diskrepanz zur erwarteten Bedrohung zeigen. Wer beispielsweise Angst vor der Situation empfindet, einen Vortrag halten zu müssen, sollte diesen zunächst im Freundeskreis erproben. Denn die Freunde werden eine Situation zulassen, die der Vortragende ohne Furcht erleben kann. Eine solche Erfahrung kann helfen, neue Reaktionen zu erlernen und die mit der Situation verbundene Sorge mildern.

 

Im Unterschied zur graduierten Konfrontation ist das Verfahren der massiven Konfrontation in bestimmten Fällen sinnvoll. Dies gilt für wenig komplexe Ängste, die zudem eine sehr hohe Diskrepanz zwischen Bedrohungserwartung und tatsächlicher Gefährdung zeigen sollten. Wer beispielsweise unter großer Höhenangst leidet, muss diese Angst nicht schrittweise mildern. Er kann sich sofort zum Besteigen eines Turms zwingen und die stärksten Widerstände in seinem Verhalten überwinden. Sofern ein Herabstürzen tatsächlich unmöglich ist und die Angst keine gesundheitliche Gefährdung darstellt, ist eine solch massive Konfrontation überlegenswert. Dabei wird die kognitive, emotionale und physiologische Furchtstruktur vollständig aktiviert, was für deren Löschung möglicherweise besonders vorteilhaft ist. Wie manche Verhaltenstherapeuten argumentieren, kann es besonders durch die massive Konfrontation mit der vollständigen Angstsituation zu einer neuen, konkurrierenden Erfahrung, die ältere Gedächtnisinhalte unterdrückt, kommen. Mit der Dauer der Konfrontation, beispielsweise mit der Verweildauer am Turm, wird sich also für den unter großer Angst leidenden Menschen herausstellen, dass keine gefährlichen Folgen eintreten. Damit entstehen mit der emotionalen, physiologischen Beruhigung neue, korrigierende Informationen, die ein zukünftiges Vermeidungsverhalten vermindern. Dieses Verfahren wird in der Verhaltenstherapie als Flooding bezeichnet. (1)

 

Das Vorgehen mittels strategischer Konfrontation ist in vielen Fällen sehr nützlich. Freilich kann beispielsweise der Vortrag, der im Freundeskreis geübt wurde, dann in „echt“ nicht wunschgemäß verlaufen, wodurch die entlastende Wirkung hinfällig wird. Besonders aber kann Angst in einer generalisierten Weise auftreten und nicht allein spezifische Situationen wie große Höhen, Vorträge oder Bootsfahrten meinen. Im Hintergrund konkreter Furcht kann eine allgemeine Neigung zur Sorge stehen. Oft sind es ja generell besorgte Menschen, die eine von einer schwachen Bedrohung ausgehende Gefahr überschätzen, in deren Leben also Bedrohungen eine große Rolle spielen. Sicher ist das Entwickeln von Mut gegenüber bestimmten Situationen dennoch nicht falsch, doch ist zumindest ebenso wichtig, eine generelle Zuversicht anzustreben.

 

 

 

Begehren

 

Begehren meint jenen mächtigen Trieb, den schon die antike griechische Philosophie als Eros, als kosmische Gewalt zum Fortbestand des Lebens erachtete. Berühmt und wirkmächtig wurde Platons Lehre eines Aufstiegs, der den liebenden Menschen nach immer höheren Idealen streben lässt. Sigmund Freud sah in ihr die Bestätigung seiner Theorie der Sublimation, einer Umwandlung und Umlenkung jener Kraft zu sozialen und kulturellen Leistungen.

 

Die problematische Seite des Begehrens wurde bereits im Abschnitt Partnerschaft behandelt. Das mitunter destruktive Potential des Begehrens ist sicher bekannt. Die extreme Anziehung, die der begehrte Mensch auf uns ausübt, kann zur Qual werden, wenn unsere Liebe aussichtslos ist. Sie bewirkt, dass wir für die Unzulänglichkeiten dieses Menschen blind werden. Auch reicht das Begehren alleine nicht aus, um einer Beziehung Stabilität zu verleihen. Ja, und eine so unangemessene und übersteigerte Liebe kann sich sogar ins Gegenteil verkehren, wenn unsere so dringenden Wünsche nicht erfüllt werden.

 

Natürlich ist es überhaupt keine Seltenheit, dass der gemeinsame Schulbesuch zu Verliebtheit und romantischen Beziehungen führt. All die gemeinsamen Aktivitäten wirken sehr anregend, und man lernt sich ja tatsächlich rundum kennen. Entsteht eine solche Verbindung in der gemeinsamen Klasse, braucht es besondere Rücksicht. Der Psychoanalytiker Wilfred Bion unterscheidet für das Zusammenkommen einer Gruppe, wie sie eine Klasse bildet, übrigens folgende drei Zustände, die sich abseits vom reinen Arbeitssinn ergeben können. Einmal gibt es die Abhängigkeit von der Leitung, beziehungsweise in der Schule vom Lehrer. Man erwartet von der Lehrerin, dass sie sagt, was zu tun ist. Das geht so lange gut, als sich die Schülerinnen und Schüler geborgen und sicher fühlen und der Lehrerin vertrauen. Die Gruppenmitglieder empfinden sich dabei oft als Rivalen, da alle möglichst viel von der Lehrerin bekommen wollen. Zweitens können sich Untergruppen um Anführer bilden, die einem gemeinsamen „Feind“ mit Ressentiment und Misstrauen begegnen. Drittens - und darum sei Bions Charakterisierung der Kleingruppenpsychologie hier erwähnt - können Erwartungen und Auseinandersetzungen mit Paarbeziehungen das gesamte Gruppengeschehen prägen. (2)

 

 

 

Anmerkungen: 

 

 

(2) Eine spezielle Form der Konfrontation, nämlich jene mit der Furcht vor Gewalt, bietet das Kampfsporttraining beziehungsweise der Besuch von Selbstverteidigungskursen. Im Fall regelmäßiger Belästigungen, die zu einem nachvollziehbaren Gefühl von Angst führen, ist ein Training zur Selbstverteidigung sicher gerechtfertigt und kann zudem helfen, in speziellen Situationen Gefühle der Bedrohung auch innerlich abzuwehren. Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit, Bedrohungen, etwa unvermeidliche Gewaltkonflikte, räuberische Überfälle, sexuelle Übergriffe, realistisch einzuschätzen. Auch ist die Regel entscheidend, Konflikte außerhalb des Rings möglichst gewaltfrei zu lösen und eine Eskalation von Gewalt nicht zu fördern. Bedroht beispielsweise ein aggressiver Mensch einen anderen, kann es hilfreich sein, ein Gespräch mit dem so bedrohten zu beginnen, um Solidarität zu signalisieren. Dabei schadet es natürlich keineswegs, wenn man sich nicht schutzlos fühlt und unter Umständen Einfluss nehmen kann.

 

Ist dagegen das Gefühl von Bedrohung in erster Linie projiziert, steht es bei manchen Menschen vielleicht sogar in Zusammenhang mit eigener Aggression, die dann in Konflikten anderen unterstellt wird, stellt dies die Sinnhaftigkeit eines Kampfsporttrainings in Frage. Sicher kann Kampfsport auch in solchen Fällen zu einem konstruktiven Umgang mit den eigenen Emotionen, zu mehr Disziplin und zum Abbau von Aggressionen führen. Genauso kann er Aggressionen aber auch verstärken und die Hemmschwelle, in Konfliktsituationen mit Gewalt zu reagieren, herabsetzen. So ist also ein Aufrüsten von potentiellen Opfern zu vertreten, eines von potentiellen Tätern allerdings nicht. Abgesehen von der hier behandelten Konfrontation mit Angst gilt natürlich für die meisten Kampfsportler, dass sie einfach nur Sport betreiben wollen und am Kampfsport viel Freude finden, mitunter aber auch gefährliche Schläge, etwa im Boxsport, einstecken müssen.

 

(3) Liebesbeziehungen, die zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten entstehen können, werden vom beruflichen Umfeld zumeist aufgrund der Konfusion der Rollen als sehr problematisch angesehen und als Schaden für das Verhältnis der Neutralität und des Vertrauens empfunden.

 

 

Literatur: 

 

Dalai Lama: Rückkehr zur Menschlichkeit ; Bastei Lübbe 2013

Angst. Ein interdisziplinäres Handbuch ; Metzler 2013

Frank Wills: Kognitive Therapie nach Aaron T. Beck ; Junfermann 214