Wer die Drogenszene auf öffentlichen Plätzen beobachtet, gelangt vielleicht zum Eindruck, Drogensucht wäre eine Erkrankung, die einen Menschen aufgrund des Konsums von Substanzen wie Heroin ähnlich wie ein grippaler Infekt befallen würde. Mit der Behandlung von Drogenabhängigen befasste Therapeutinnen und Therapeuten betrachten jedoch Probleme der Persönlichkeit als Ursache. Für sie sind es bestimmte Probleme der Persönlichkeit, die zur Bildung einer Abhängigkeit führen und Menschen in die Selbstzerstörung treiben. Patientinnen und Patienten, die sie im stationären Rahmen erleben, zeigen sehr häufig schwerwiegende Probleme der Persönlichkeit. Sehr wohl ist es aber die Drogenabhängigkeit, die jene Patienten in die Behandlung führt. Erst das Elend der Sucht, mitunter sogar eine drohende Haftstrafe, zwingen dazu, das Angebot einer stationären Therapie auf sich zu nehmen.

 

 

Bevor wir auf therapeutische Überlegungen zur Behandlung zu sprechen kommen, wollen wir einen Blick auf das Phänomen Sucht werfen. Was ist Sucht, welche speziellen Hintergründe hat sie? Sucht kann im Sinne einer Selbstmedikation verstanden werden. Drogen wie etwa Alkohol erzeugen eine rauschhafte Wirkung, die selbstzufriedenes Wohlbefinden zulässt.  Der permanente Missbrauch entsteht aber oftmals, um die Qual tiefsitzender Probleme zu mildern. Die rauschhafte Wirkung wird gebraucht, um innere Versöhnung mit einer sonst schwer erträglichen Gefühlswelt zu erlangen. Insofern dieser Zustand aber nur vorgegaukelt ist, handelt es sich dabei um Flucht, die letztendlich eine Bewältigung der Probleme und eine Reifung der Persönlichkeit verhindert. 

 

 

Doch ist es mehr als nur die rauschhafte Wirkung der Droge, welche für die Dynamik der Sucht verantwortlich zeichnet. Sucht ist immer auch süchtige Fantasie. Schon indem sich der süchtige Mensch gedanklich der Droge zuwendet, scheint dies seine Konflikte zu beruhigen, sodass er Entlastung und größere Harmonie mit sich selbst fühlt. Daher kann es nicht ausreichen, einen schwer drogenabhängigen Menschen bloß einige Zeit in Tiefschlaf zu versetzen, um ihn einfach die körperliche Abhängigkeit ausschlafen zu lassen. Ein erheblicher Teil der Abhängigkeit wird durch Prozesse verursacht, die Drogenkonsum auch weiterhin als einzige Konfliktlösung erscheinen lassen. Die spezifische Wirkung der Substanzen kann dies nicht vollständig begründen. Etwa erfährt ein süchtiger Raucher kaum noch Wirkung durch das Nikotin der x-ten Zigarette, braucht sie aber dennoch. Ähnliches gilt für die Behandlung mit Ersatzstoffen, die Drogen substituieren. Nicht nur die Wirkung der Droge, sondern auch die Fantasie, die die Gedanken des Süchtigen an die jeweilige Droge fesselt, hat offensichtlich die Funktion, das emotionale Chaos und die schwer erträglichen  Gefühle zu überdecken, erträglicher zu machen.

 

Die Tiefenpsychologie bietet dazu eine Erklärung an, die zunächst seltsam anmutet. Der auf Drogentherapie spezialisierte Wiener Analytiker Wilhelm Burian bringt diese Erklärung auf den Punkt, wenn er schreibt: „Die süchtige Fantasie stattet den Borderline-Patienten oder den Drogenabhängigen mit all den Gefühlen aus, die er von der idealen Mutter ersehnt.“ Eine solche Aussage ist freilich nicht im strengen naturwissenschaftlichen Sinn überprüfbar. Es gibt keine Möglichkeit, ein solches Erklärungsmodell zu verifizieren. (1)

 

Aus Sicht der Tiefenpsychologie bedeutet dies, dass die süchtige Fantasie, indem sie pauschal als Lösung aller inneren Nöte aufscheint, die Funktion erfüllt, eine ungenügend befriedigende innere Repräsentanz zu kompensieren. Dies macht die Angst eines süchtigen Menschen verständlich, von seiner Droge zu lassen. Denn in der Regel sind die Rechtfertigungen, die er für seine Drogensucht anführt, oberflächlicher Natur und dienen mehr dazu, die eigene Hoffnungslosigkeit abzuwehren. Natürlich erkennt er früher oder später, dass der Schaden, den seine Gesundheit nimmt, die sozialen Probleme, die mit seiner Sucht zunehmend einhergehen und schließlich die zerstörerische Wirkung auf seine Psyche jeden etwaigen Nutzen seines Drogenkonsums vielfach übersteigen. Doch bleiben seine Wünsche nach einem abstinenten Leben sehr theoretisch. Tatsächlich erscheint ihm ein Leben ohne Schutz und Geborgenheit durch die Droge unvorstellbar. Oder genauer: die Vorstellung eines drogenfreien Lebens ist mit diffuser Angst verbunden. Viel akzeptabler erscheint vielen suchtkranken Menschen dagegen der Umstieg auf eine Ersatzdroge, die eine durchaus andere Wirkung als die ursprünglich gewohnte entfalten kann. Entscheidend scheint, dass die süchtige Fantasie wieder ihr Objekt besitzt und befriedet ist.

 

Als tiefste Ursache werden Probleme der frühesten Kindheit vermutet, die allerdings nicht erinnert werden kann. Hinzu kommt, dass sehr viele Drogenabhängige von späteren Ereignissen berichten, die als ebenso schädigend anzusehen sind, nämlich schreckliche Erlebnisse durch Gewalt, gröbste Vernachlässigung und Missbrauch. Neben frühkindlichen Entwicklungsstörungen geben traumatische Erfahrungen also einen zusätzlichen Faktor für das Entstehen tiefgreifender Probleme des sozialen Verhaltens. Traumatisierungen werden übrigens in besonderem Maße durch Kriegsgeschehnisse bewirkt. Krieg bereitet den Boden für eine zunehmende und schließlich vollkommen irrationale Eskalation von Hass und Gewalt.

 

Tiefgreifende Probleme der Persönlichkeit drücken sich immer auch in der Beziehung zu anderen Menschen aus. Beispielsweise kann die Neigung entstehen, Feindschaft zu erleben. In Zusammenhang mit einer Suchterkrankung tritt die Neigung zur Schaffung von Feindbildern, die als bedrohlich, verfolgend und zerstörerisch erlebt, aber dennoch aufgrund von innerer Dynamik benötigt werden, umso intensiver hervor, wenn die Wirkung der Droge wegfällt. Hier, bei den Problemen, die sich in Beziehung zu anderen Menschen ergeben, setzt die therapeutische Behandlung der Suchterkrankung an.

 

 

  

 

Behandlung

 

Die Drogentherapiestation des Anton Proksch Instituts in Mödling bei Wien gibt Einsicht in ihr therapeutisches Konzept zur Behandlung der Drogensucht. Patienten verbringen dort in der Regel ein ganzes Jahr. Die Behandlung startet jedoch bereits zuvor, denn der Aufenthalt wird flankiert durch eine mehrwöchige stationäre Vor-Betreuung, die dem körperlichen Entzug und der Motivation dient, sowie einer ambulanten Nach-Betreuung nach positivem Abschluss der Langzeittherapie. 

 

Die Station des Anton-Proksch-Instituts bietet den Patienten einen geschützten Raum der Abstinenz sowie Psychotherapie in Einzel- und Gruppenform. Diese wird durch das arbeitstherapeutische Angebot ergänzt. Die Patientinnen und Patienten sind während ihrer langen Aufenthaltsdauer nicht nur Bewohner der Station, sondern kümmern sich um alle Notwendigkeiten des täglichen Lebens, sei es die Zubereitung der Mahlzeiten, die Reinigung des Hauses oder sonstige anfallende Arbeiten. Sofern die Patienten den Aufenthalt erfolgreich schaffen, wechseln sie sodann in eine ambulante Nachbetreuung.

 

Das therapeutische Konzept der Station zeigt eine besonders bedeutsame Charakteristik. Anders als etwa ein Spital oder eine therapeutische Praxis, wo therapeutische Sitzungen stattfinden, versteht sich die Drogentherapiestation als Ganzes als therapeutische Einrichtung. Die Therapeutinnen und Therapeuten leisten neben den Sitzungen ebenso Beaufsichtigung und Kontrolle, Nachtdienste, Freizeitangebote und betreuen zu allen Zeiten in ihrer therapeutischen Funktion. Dies bedeutet, dass die so wesentliche Arbeit am Phänomen der Übertragung zwischen Patienten und Therapeuten nicht allein in den speziellen Therapien zum (unausgesprochenen) thematischen Hintergrund wird. Das Beziehungsgeschehen zwischen therapeutischem Personal und Patienten existiert an allen Orten und zu beinahe jeder Zeit und wird als Instrument der Behandlung verstanden. (2)

 

Dieses Charakteristikum ist hinsichtlich der Behandlung solcher Patienten mit innerer Bereitschaft zu Spaltung und Feindseligkeit besonders relevant. Zugleich mit der ungeheuer stützenden Wirkung der therapeutischen Gemeinschaft öffnet sich durch das problematische Übertragungsgeschehen ebenso ein sehr konfliktreicher Raum. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Patient starke Angst und Feinseligkeit gegenüber einem Therapeuten verspürt und diese Empfindung sodann auf den Therapeuten projiziert, somit stattdessen diesen Therapeuten als feindselig und aggressiv erlebt und sich berechtigt fühlt, diesen zu bekämpfen. Die Psychotherapeutin Ursula Wirth schildert ihren Umgang mit diesem typischen Prozess einer projektiven Übertragung, die der tatsächlichen Beziehungssituation nicht gerecht wird: „Als Gegenüber fühlt man sich sehr heftigen Entwertungen und intensiven Aggressionen ausgesetzt, die zunächst verwirrend und unerklärlich sind - vor allem, wenn die Projektionen der Patientin nicht mit den eigenen Selbstvorstellungen übereinstimmen. Die Heftigkeit der Angriffe kann wiederum zu Gegenreaktionen provozieren. Die wesentliche Aufgabe allerdings besteht darin, diese Attacken in sich aufzufangen, in einem gemeinsamen Prozess mit der Patientin nach und nach in ihrer Bedeutung zu klären und die abgespaltenen Affekte (meist Wut, Neid, Eifersucht, Gier) in Einklang mit ihrem Selbst zu bringen. Im Aushalten des Affekts, ohne Rache zu nehmen oder sich zerstören zu lassen, liegt eine implizite Beruhigung der Patientin, sodass die Beziehung weiterhin gut bestehen kann und Affekte sich gut integrieren lassen.“  

 

Sicher ist diese Dynamik einer Drogentherapiestation eine Extremsituation. Trotz häufiger Anfeindungen die Ruhe zu bewahren, ist wohl eine extreme Herausforderung, die ein sicheres Wissen um das therapeutische Geschehen braucht. Indem es aber gelingt, die Ruhe zu bewahren und nicht auch selbst eine feindliche Haltung einzunehmen, setzt die Therapeutin ein Zeichen von Stärke, worin sich auch eine für den Patienten erlebbare Sicherheit ausdrückt. Grundsätzlich gilt, dass wir das innere Geschehen, das einer feindlichen Haltung zugrunde liegt, nicht dadurch ändern, indem wir mit der gleichen Emotion antworten und selbst Ablehnung in uns tragen, sondern nur durch Anteilnahme und Verständnis. Der Sozialpädagoge Pestalozzi fand dafür die treffende Formulierung, wonach soziales Lernen von „Angesicht zu Angesicht, von Herz zu Herz“ passiert! 

 

Viele solcher Konflikte finden im Zusammenhang mit der Hausordnung der Therapiestation statt. Betrachten wir dafür folgenden konfliktträchtigen Umstand: Während der ersten Monate des Aufenthalts besteht kein Recht auf Verlassen des Hauses, auf Ausgang. Um diese Möglichkeit schließlich zu erhalten, ist nicht nur eine vollkommene Abstinenz erforderlich, sondern auch das Einhalten sämtlicher Regeln der Hausordnung. Sind die zumeist jugendlichen Patienten beispielsweise für die Reinigung eines Gebäudeabschnitts zuständig und wird diese Pflicht nicht erfüllt, so verzögert dies die Ausgangsmöglichkeit. Dabei handelt es sich um mehr als nur ein pädagogisches Instrument. So erklärt eine Therapeutin, dass jedes Verhalten als Kommunikation des Patienten verstanden würde. Wie auch immer sich ein Patient gegenüber der Hausordnung verhält, ob er sie rebellisch bekämpft, unterwürfig erleidet, deren Einhaltung gegenüber allen anderen Patienten vehement einfordert oder aber sie einfach ignoriert, könne dies für ein Verständnis seiner Persönlichkeit und damit für die therapeutische Arbeit gedeutet werden.

 

Fakt ist jedenfalls, dass die verwehrte Möglichkeit zum Ausgang nicht selten zu Frustration führt. Doch ist das Entwickeln der Fähigkeit zum konstruktiven Umgang mit Frustrationen für eine spätere Fähigkeit zur Abstinenz in der dann ungeschützten "Außenwelt" notwendig. Gerade an einer solchen psychischen Widerstandskraft, um mit Frustration gut klar zu kommen, fehlt es den meisten Patientinnen und Patienten. Die zuvor zitierten Worte der Therapeutin zeigen, wie intensiv das Zusammenleben auf der Station durch zornige Stimmungen bis hin zum Hass geprägt ist. Patienten, die diese Neigung zu feindlichen Gefühlen besitzen und keinen Schutz durch ihre Droge erfahren, beginnen in dieser herausfordernden Situation andere Menschen und besonders die behandelnden Therapeuten zu entwerten, aber mitunter auch massiv zu idealisieren.  Sie teilen die Behandler in ausschließlich gute und ausschließlich böse Personen, verkehren diese Vorstellungen aber auch wieder, erleben ein inneres Chaos aus Abhängigkeit und Zuneigung und ebenso feindschaftlichen Empfindungen. Einzelne Patienten können ihre aggressiven Impulse nur mühsam dem strengen Gewaltverbot unterordnen. Trotz aller Wut, die dabei zum Ausbruch kommt, empfinden viele Patienten aber doch, dass ihnen mit grundlegendem Verständnis und dem Wunsch zu helfen begegnet wird. So kommt es in der intensiven Übertragungsbeziehung in vielen Fällen zu einer Milderung des inneren Feindbildes und der spaltenden und destruktiven Strategie, die diese Patienten mit sich tragen.

 

Im Rahmen der Drogentherapiestation des Anton Proksch Instituts erfolgt das therapeutische Angebot nicht nur in Therapiestunden, sondern auch in Gruppenform. Hier werden Gruppen von etwa zwölf Patienten von jeweils zwei Therapeuten betreut. Da die Patientinnen und Patienten über keine Einzelzimmer verfügen und überhaupt den ganzen Tag in der Patientengemeinschaft verbringen, finden sie bald zu engen und charakteristischen Beziehungen zueinander. Die Aufgabe, zwischen projizierten und realen Anteilen, die das Beziehungserleben ausmachen, unterscheiden zu lernen, gilt in besonderem Maße für das Geschehen in der Gruppe. Sofern das Zusammenleben der Patienten durch verinnerlichte und schädliche Beziehungsmuster sehr geprägt ist, sollen diese einer größeren Realitätstüchtigkeit weichen. Hierbei ist es eine zentrale Funktion der Therapeuten, Konflikte nicht eskalieren zu lassen und eine respektvolle Form der Auseinandersetzung zu fördern. Dafür gilt es, mit den eigenen Wertvorstellungen zu konfrontieren und die Patienten anzuhalten, ihre Gefühle besser zu verbalisieren, einzuteilen und zu reflektieren. Sie sollen sich um positive Qualitäten bemühen und ebenso Selbstfürsorge entwickeln. 

Im Unterschied zur Gruppenarbeit bietet sich die Einzeltherapieform für die Auseinandersetzung mit besonders intimen Inhalten, etwa traumatische Erfahrungen, an. Traumatische Erfahrungen, wenn sie bewältigt werden, können zur Reifung und zu innerem Wachstum führen.

 

Kehren wir aber noch einmal zum Geschehen rund um die Hausordnung zurück, wo Verstöße, destruktives Verhalten oder heimlicher Drogenkonsum mit Konsequenzen beantwortet werden. Solche Konsequenzen können zusätzliche Hausarbeit oder Ausgangssperre oder, wenn gar nichts hilft, eine Beendigung der Therapie bedeuten. Wie verträgt sich eine solch strenge Pädagogik mit einer emphatischen und verständnisvollen Haltung, die doch als Prinzip für ein gelungenes Zusammenleben gelten sollte? Bedeutet Empathie, dass Fehlverhalten, etwa Drogenrückfälligkeit, Beschimpfung, Gewalt oder das Quälen von Schwächeren, immer verziehen und ignoriert wird? Natürlich nicht. Denn hätten seinlassendes Verstehen und unbedingte Versöhnlichkeit immerzu den Vorrang, so würden Destruktivität, Zorn, vielleicht sogar Gewalt bald die Oberhand gewinnen und das harmonische Leben und Lernen in der Gemeinschaft rasch zerstören. 

 

Allgemein gilt, dass manche Angelegenheiten wie Diebstahl oder Gewalt eine entschiedene Reaktion und geeignete Maßnahmen erfordern. Würde man dem destruktiven Verhalten nichts entgegnen, würde es sich fortsetzen, der Mensch würde sich vielleicht sogar ermutigt fühlen und auf lange Sicht sich und anderen Schaden zufügen. Der Wunsch, dass es anderen wohl ergehe beinhaltet natürlich in keiner Weise, jede Provokation und destruktive Verhaltensweise klaglos über sich ergehen zu lassen! So besteht kein Gegensatz zwischen richtig verstandener Empathie und pädagogisch-therapeutischem Handeln, das selbstverständlich um das Wohl der Patientinnen und Patienten bemüht ist. Dabei geht es primär darum, das Denken und Fühlen der betreuten Menschen zu verändern, und nicht bloß darum, den Konsum von Drogen zu unterbinden. Sofern also eine Form von Konsequenz, etwa das Verbot des Ausgangs, als notwendig erachtet wird, bedeutet dies keinen Selbstzweck, keine Vergeltung oder Strafe für das destruktive Verhalten, sondern soll dem Patienten und dem Zusammenleben in der therapeutischen Gemeinschaft dienen. Daher wird altruistischen Konsequenzen wie etwa Haushaltstätigkeiten, wovon die Gemeinschaft als auch der Patient selbst profitieren, der Vorzug gegeben. Besonders aber ist es die Versöhnlichkeit, welche die Gemeinschaft stärkt! Fehlt es dagegen an Mitgefühl, bereiten strenge Maßnahmen den Boden für weitere Konflikte. Letztlich entsteht eine Spirale von Hass, Angst, Ablehnung und Gewalt. (3)

 

 

 

 

 

Anmerkungen

 

(1) Vielleicht erscheint dies aber plausibel, wenn wir Folgendes in Betracht ziehen. Es entspricht einer Beobachtung, dass Säuglinge im Alter von vier bis zwölf Monaten Kuscheltiere, Schmusedecken oder Ähnliches als ihren ersten Besitz wählen und daraus Beruhigung und Trost empfangen. Dies gilt besonders dann, wenn die Mutter vermisst wird. Es scheint also, dass der Säugling, indem er den Teddybären in solcher Situation an sich drückt, sich nicht komplett verlassen fühlt.

 

Das Bewusstsein des Babys kann zu diesem Zeitpunkt schon einigermaßen zwischen sich und Mutter unterscheiden. Empfindungen wie Hunger, Wärme oder Sinnlichkeit, Erregungen von Wohlbehagen oder auch Zorn, die das Baby bis dahin erlebt, bedürfen keiner Vorstellung, besitzen noch kein Gegenüber. Erst mit dem Bewusstsein von der Mutter als andere Person wird auch die Trennung von der Mutter erfahren, die zugleich Vorstellung eines fehlenden Anderen meint. Es lässt sich nun annehmen, dass das Baby, um dieser Vorstellung von Verlassenheit zu entgehen, seine Erfahrung von Wohlbefinden und Mutter nimmt und auf ein Objekt der äußeren Welt überträgt. Vielleicht handelt es sich bei dieser trotz Trennungserfahrung fantasierten Behaglichkeit um die ursprünglichste Fantasie, die ein Kleinkind entwickelt. Die Psychoanalyse spricht daher von einem Übergangsobjekt, das dem Baby hilft, sein frühkindliches Geborgenheitsbedürfnis zu stillen und seine Mutter weiterhin als Teil von sich zu erleben. Die Übertragung einer mit Mutterbeziehung verknüpften behaglichen Vorstellung auf äußere Objekte scheint also eine wesentliche Strategie des Bewusstseins, die sich im Säuglingsalter in ihrer einfachsten Form zeigt und dem Säugling ermöglicht, eine Wirklichkeit, die ansonsten bedrohlich wäre, zu ertragen. Es scheint so, als würde das äußere Objekt dem Kind helfen, eine erste innere Repräsentanz von Mutter und Mutterbeziehung, Behaglichkeit und Wohlbefinden trotz fehlender Bezugsperson herzustellen.

 

(2) Die am Anton Proksch Institut tätige Therapeutin Gertrude Thil-Eicher meint aus psychoanalytischer Sicht: „Die stationäre Behandlung verkörpert vor allem aber auch die immerwährende Präsenz der versorgenden Mutter - das ist die symbolische Bedeutung des Rahmens. Erst und nur durch die ausreichende Sicherheit, die von einer derartigen Präsenz ausgeht, kann sich das Kind entwickeln und schließlich auch trennen: Die Station dient als lebender Brutkasten - zum Nachreifen.“

(3) In sehr seltenen Fällen kann die schwere Drogensucht auch mit ausgesprochen destruktivem Verhalten einhergehen und die Persönlichkeit des Menschen überaus beeinträchtigt sein. Solche Menschen begegnen in aller Regel in Haftanstalten und im kriminellen Milieu, dem sie unabhängig von der Drogensucht zugehören. Sofern sie dann auf Drogentherapiestationen ihr zerstörerisches Wesen offenbaren, kann ihr Terror die konstruktiven Möglichkeiten der therapeutischen Gemeinschaft überfordern und das therapeutische Personal und mehr noch die anderen Patienten an die Grenzen der Belastbarkeit bringen. 

 

 

 

Literatur: 

Wilhelm Burian: Rituale der Enttäuschung ; nicht mehr erhältlich

Wilhelm Burian u.a.: Die Abwehr des Chaos ; Mandelbaum 2012