Didaktische Überlegungen zur bibliothekarischen Arbeit mit Kindergruppen

 

 

Inhalt: 

 

1. Einleitung

  1. Thematik
  2. Struktur des Besuchs

2. Büchereibesuch der Kindergruppe

  1. Absprache mit der PädagogIn
  2. Begrüßung der Kindergruppe
  3. Freispiel 

3. Das bibliothekarische Angebot

             3.1 Einstimmung

             3.2 Richtlinien des Erzählens/Vorlesens

             3.3 Der Erzählkreis

             3.4 Das Bilderbuchkino

             3.5 Handlungsorientierte Angebote

4. Ausklang und Übergang zum zweiten Freispiel; Verabschiedung

 

1. Einleitung

1.1 Thematik

 

Der hier unternommene Versuch, einen einführenden Büchereibesuch für eine Kindergruppe zu planen, richtet sich an große Teilgruppen oder Gesamtgruppen einer Volksschulklasse oder eines Kindergartens (bzw. Hort). Zielpublikum ist daher: 

 

  • das jüngere Kind (3. und 4. Lebensjahr)
  • das Vorschulkind (5. und 6. Lebensjahr)
  • das Kind als Leseanfänger (7./8./9. Lebensjahr)(1)  

 

Das vorgestellte Programm fühlt sich den mitunter knappen personellen und zeitlichen Ressourcen der Büchereien verpflichtet. Grob gefasst besteht es aus Begrüßung, „Freispiel“ der Kinder, Einstimmung und bibliothekarischem Angebot, Ausklang und Verabschiedung. Natürlich wird auch die kindgerechte Informationsvermittlung zu Entlehnung, Ordnung und Mitgliedschaft behandelt. 

Das Bilderbuchkino, welches, sofern der Bibliothekar ein solches Repertoire hat, praktisch keiner Vorbereitung bedarf, soll besonders angeregt werden. 

Im Besonderen war es mein Bestreben, didaktische Überlegungen und Prinzipien auf die Arbeit des „Kinderbibliothekars“ zu übertragen und zu beschreiben. Die bibliothekarische Praxis betreffend wäre es mir ein Freude, von den vorhandenen Erfahrungen und dem Wissen der auf diesem Gebiet tätigen BibliothekarInnen profitieren zu können. 

 

 

1.2 Struktur des Besuchs

 

1. Konzentrationsphase

Weg zur Bücherei 

Herzliche Begrüßung und erste Information

1. Freispielphase

Ablegen der Jacken, Toilette, Erkunden der Bücherei etc.

Durchstöbern des medialen Angebots etc. 

2. Konzentrationsphase

Infos zur Bücherei

Einstimmung und bibliothekarisches Angebot

2. Freispielphase

Ausklang und Freispiel

Verabschiedung

 

Das Freispiel – Erkunden von Medienangebot und Bücherei – gibt den Kindern ausrechend Gelegenheit, in altersgerechten Sozialformen (Einzelbeschäftigung, Partnerarbeit, Kleingruppenarbeit) spielend zu lernen. Das bibliothekarische Angebot (Vorlesen und Erzählen, Bilderbuchkino, „Bücherei-Spiele“) richtet sich jedoch an die Gesamtgruppe. Denn die Arbeit mit nur einer Teilgruppe würde besonders verlangen, dass die restlichen Kinder mit einer Aufgabe beschäftigt oder in unterschiedlichen Spielbereichen in ihr Spiel vertieft sind. Dies ist in der Bücherei jedoch nicht der Fall. Hier ein bibliothekarisches Angebot für nur einen Teil der Kinderschar anzubieten und – auch räumlich - zu strukturieren und diese Teilgruppe „geschlossen“ zu halten, würde vermutlich ein hohes Maß an Leitung erfordern und somit ein vergnügliches Angebot beeinträchtigen. 

 

Die Dauer der Konzentrationsphase sollte das Fassungsvermögen des jüngeren Kindes, das in der gemischten Kindergartengruppe begegnet, nicht überfordern. Die reine Erzähldauer sollte daher nicht mehr als 15 Minuten betragen. Zum anderen ist es nicht Aufgabe des bibliothekarischen Angebots, das Konzentrationsvermögen des Vorschul- bzw. Schulkindes auszureizen, sondern eine emotionale Bindung zu Buch und Bücherei anzuregen. Auch hier erscheint eine Erzähldauer von etwa 15 Minuten der Zielsetzung angemessen. Die Gesamtdauer des Besuchs kann somit den personellen und zeitlichen Ressourcen der Bücherei entsprechend bemessen werden. 

Zudem sollte die Kompetenz der PädagogIn zur Leitung der Kindergruppe in den Ablauf einbezogen werden, sodass die Mitwirkung der BibliothekarIn in den Freispielphasen zwar sehr wünschenswert, jedoch nicht durchgängig erforderlich erscheint. 

 

 

2. Büchereibesuch der Kindergruppe 

2.1 Absprache mit der PädagogIn: 

 

Diese umfasst:

  • Termin, Uhrzeit, Dauer
  • Gruppengröße 
  • Altersstruktur; evt. Anzahl der Kinder mit Deutsch als Zweitsprache oder verzögerter Sprachentwicklung 
  • Information zur Einschreibung: Institutionskarte, Entlehnausweis etc.
  • Art der Einführung

 

Eventuell kann die BibliothekarIn beim geplanten Angebot auf den derzeitigen pädagogischen Themenschwerpunkt oder aktuelle Interessen der Kinder (situativer Ansatz) Rücksicht nehmen. 

Natürlich ist eine gute Zusammenarbeit mit der PädagogIn, die Leitungskompetenz und besonders Wissen um das individuelle Kind mitbringt, sehr gewünscht. 

 

Speziell für das hier fokussierte Angebot des Vorlesens oder der Bilderbucharbeit braucht es wenig Eigenvorbereitung, sofern der „Kinderbibliothekar“ das Angebot schon in seinem Repertoire hat. Die erste Freispielphase der Kinder bietet Gelegenheit, den nötigen Platz zu schaffen, Möbel beiseite zu schieben, Sitzpolster und Utensilien wie beispielsweise Anschauungsmaterial oder „Märchenring“ herbei zu holen. Der Projektor für das Bilderbuchkino kommt aus Sicherheitsgründen zuletzt, dessen Stromzufuhr wird später noch thematisiert. 

 

2.2 Begrüßung der Kindergruppe:  

 

Spätestens wenn sich die Kindergruppe in der Gardarobe der Schule oder des Kindergartens sammelt, ist das Ausflugsziel allen Kindern bekannt. Viele Kinder genießen die Unterbrechung der Alltagsroutine und blicken Ausflügen freudig gespannt entgegen, manche verknüpfen zudem schon Erfahrungen mit einer Bücherei.

Der Weg zur Bücherei ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zunächst wird der Bewegungsdrang  der Kinder durch die Anreise zumindest ein wenig gestillt, was doch eine wesentliche Voraussetzung für das Glücken eines Lese- bzw. Erzählangebots darstellt. Zweiter Faktor ist die Disziplin und Konzentration, die aufgrund der Gefahren des Straßenverkehrs, der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel etc. den Kindern abverlangt werden: Zweierreihe, Beisammenbleiben der Gruppe, rasches Setzen in Bus oder Straßenbahn etc. Ich finde daher, die Kinder sollten nach der Begrüßung Freiraum zum eigenen Erkunden von Bücherei und Medien bekommen („Freispiel“). Besonders aber ist der öffentliche Raum hektisch und laut und steht damit im Kontrast zur nun wohltuenden Ruhe und Ordnung der Bücherei, wo die Kinder von der BibliothekarIn herzlich empfangen werden. Sie stellt sich vor, freut sich über die vielen Kinder, führt einen kurzen Dialog mit der Kindergruppe und gibt Infos zur Bücherei und besonders zum folgenden Programm. 

 

Dem Alter entsprechend ergeben sich für die Informationen zur Bücherei u.a. folgende Unterschiede:  

 

 

Jüngeres Kind

Vorschulkind

Leseanfänger

Ausleihe

Hier kann man Bücher, Filme etc. ausborgen. Was heißt „ausborgen“?

Man sucht sich die Bücher aus und geht damit zum Schalter…

Eigenes Verbuchen, Dauer der Ausleihe, Ausleihe von Filmen ist nicht gratis etc. 

Ordnung

Alles ist schön geordnet – es gibt einen Kinderbereich.  

Es gibt viele Bereiche: Krimis, Sachbücher (z.B. über Schmetterlinge); Büchereibücher sehen anders aus: Signatur

Alphabetische Ordnung; Bücher können am Computer gesucht und dann in der Bücherei gefunden werden…

Mitgliedschaft 

Wie zu einer bestimmten Kindergartengruppe muss man auch zur Bücherei dazu gehören. 

Die Eltern müssen einen Brief unterschreiben, damit man zur Bücherei gehört.

Den Mitgliedsausweis muss man herzeigen…

 

 

2.3 Kurzes Freispiel

 

Nachdem Rucksäckchen und Jacken abgegeben und unmittelbare Bedürfnisse (Wasser trinken etc.) gestillt sind, sollen die Kinder Raum für Aktivität und eigenes Entdecken erhalten, für das Durchstöbern des Buch- und Medienangebots und vertrauensvolle Erkunden der Bücherei. Kleine Spielimpulse, Rätsel oder Aufforderungen zum Suchen oder Zuordnen können dies, soweit notwendig, anregen (vgl. 3.5). Sofern die BibliothekarIn die Möglichkeit hat, daran teilzunehmen, kann sie über die Bücherei informieren, Kontakt aufnehmen, aktiv zuhören und einfühlende Gespräche führen, beobachten und sich mit der Gruppe vertraut machen, Regeln ansprechen und die Situation, wenn nötig, sanft strukturieren.

Bald wollen einige Kinder ein Buch gemeinsam betrachten, andere würden schon jetzt gerne vorgelesen bekommen, andere wieder erkunden spielend die Bücherei, jüngere Kinder packen Bilderbücher zusammen. Viele genießen die Atmosphäre, nur einzelne Kinder mögen keine Bücher. Mitunter kann es passieren, dass Kinder in Konflikt miteinander kommen und sich an die PädagogIn wenden. Diese gibt dem Explorationsverhalten der Kinder genügend Freiraum, besitzt aufgrund von Ausbildung und täglicher Arbeit aber auch die Kompetenz, Kinder eindeutig und überzeugend anzusprechen und sich Gehör zu verschaffen.  

Das Freispiel in der vorbereiteten Umgebung der Bücherei ist sicher keine Zwischensituation vor dem eigentlichen Angebot, sondern lässt die Kinder mit der neuen Umgebung vertraut werden und auch allein, in der Kleingruppe oder Partnerarbeit „lernen“. 

Die hier vorgestellte Planung intendiert das kommende Buchangebot für die Gesamtgruppe, was Auswirkung auf die Haltung der BibliothekarIn in dieser wichtigen Situation des Freispiels hat. Sie sollte sich daher vielleicht nicht zu sehr in Beschlag nehmen lassen und oder zu intensiv ein Buch vor dem eigentlichen Angebot behandeln, denke ich. Auch um ein „Sattsehen“ zu verhindern, sollte die erste Freispielphase kurz gehalten und das Entstehen eines fordernden Verhaltens der Kinder als Zeichen für deren Bereitschaft zur Konzentration und zum Beginn des Angebots genommen werden. 

 

 

3. Das bibliothekarische Angebot

3.1 Einstimmung 

Die Einstimmung soll die Kinder für das folgende Erzählangebot motivieren und interessieren, sie beruhigen und hellsinnig machen. Die Bücherei ist aufgrund ihrer Bestimmung der ideale und wohltuende Ort, um zu Ruhe und Konzentration zu finden, auch wird sie von den Kindern extra aufgesucht und bietet wenig Ablenkung (durch andere Spielbereiche). 

Schon indem die BibliothekarIn Platz schafft und die Polster für den Sitzkreis oder das Bilderbuchkino auflegt, Utensilien herbei trägt, vielleicht mit einer Triangel oder Klangschale läutet oder eine Leselampe einschaltet etc. kann die Neugierde vieler Kinder geweckt werden. 

Dabei denke ich, dass die Teilnahme der Kinder weder ganz freiwillig noch unter Zwang erfolgen sollte. So würde ich die Teilnahme nicht als Frage formulieren, da es sonst immer Kinder gäbe, die ablehnen würden (beispielsweise weil die beste Freundin nicht mittun will…). Gemeinsam mit der PädagogIn würde ich die Kinder deutlich auffordern, am folgenden Angebot teilzunehmen. Haben sich aber einmal die meisten Kinder motivieren lassen, so will der Rest erfahrungsgemäß nichts versäumen und kommt automatisch hinzu. Sollten dennoch einzelne Kinder überhaupt nicht teilnehmen wollen, so ist aus meiner Sicht ihrem Wunsch zu entsprechen.  

Eine schöne Möglichkeit der Einstimmung ist der goldene Reifen oder „Zauberring“, durch den die Kinder in das „Märchenland“ eintreten. Es handelt sich dabei um einen Gymnastik- bzw. Hula-Hoop-Reifen, mit selbstklebendem Goldband umwickelt, was ihm ein „kostbares“ Aussehen verleiht. Vor Beginn der Erzählung dürfen alle Kinder, die zuhören wollen, durch den von der Bibliothekarin gehaltenen Reifen kriechen und sich dann auf ihren Platz setzen. Alternativ können aufgespannte bunte Tücher den Eintritt ins Erzählland symbolisieren, sofern nicht der Bilderbuchbereich sondern ein weiterer Ort für das Angebot verfügbar ist – im Idealfall ein ruhiger, gemütlicher Ort, klar abgegrenzt und attraktiv gestaltet. 

Aufgelegte Polster oder vorbereitete Stühle helfen den Kindern bei der Kreisbildung bzw. für das Bilderbuchkino Zuseherreihen zu bilden; ein zu enger Kreis oder ein Kinderknäuel erschweren dagegen die Konzentration. 

Befindet sich das Kinopublikum auf seinen Plätzen bzw. ist der Erzählkreis gebildet, so könnten noch weitere einstimmende Aktionen folgen: Weiterreichen eines Händedrucks, sich im Kreis die Hände reichen, kurz die Augen schließen oder die Hände vors Gesicht halten, einen gemeinsamen Ton anstimmen, Stilleübungen etc. Doch ist dies vermutlich nur bei aktivierenden Angeboten, Kreisspielen etc., notwendig. Ich selbst machte die beste Erfahrung mit dem Vorsingen einer thematisch passenden Kinderliedsequenz zu Beginn, beispielsweise der ersten Strophe von „Dornröschen war ein schönes Kind“, worauf das Märchen folgte. Dabei wurde sogar mitgesungen. Sofort hatte ich die Aufmerksamkeit der Kinder auf meiner Seite! 

 

Die BibliothekarIn kündigt das Programm (Vorlesen, Bilderbuchkino oder „Bücherei-Spiel“) an und hat an dieser Stelle Gelegenheit, weitere Infos zur Bücherei zu geben. Natürlich ist die Teilnahme der PädagogIn am bibliothekarischen Angebot sehr wichtig, denn sie kann schwierige, ängstliche oder konzentrationsschwache Kinder zu sich nehmen und überhaupt durch ihre Anwesenheit Geborgenheit vermitteln bzw. ihre Bereitschaft zur Unterstützung signalisieren, damit ein vergnügliches Angebot nicht durch eine konfuse Situation gestört wird. 

 

3.2 Allgemeine Richtlinien des Erzählens/Vorlesens

 

Nach meiner Überzeugung gilt für die Erzählkunst das gleiche Bestreben, welches auch die unanfechtbare Bedeutung des Kinderbuches in Abgrenzung zur scharfen Konkurrenz durch andere Medien ausmacht: Sich in die Welt des Kindes einfühlen zu versuchen; jene Welt, die das Kind wahrnimmt und schafft, in der es empfindet, denkt und handelt innerlich beim Erzählen nachvollziehen zu versuchen und dem Kind derart „Material“ zu geben, das erst noch die Formung durch den jungen Zuhörer braucht.  

 

Allgemeine Richtlinien: 

 

 

Jüngeres Kind

Vorschulkind

Leseanfänger

Inhalt

Lebensnahe Thematik (z.B. Regen; Anschauungsmaterial: Regenschirm)

Linearer, überschaubarer Verlauf (z.B. „Bremer Stadtmusikanten)

Unterschiedliche Schauplätze, komplexe Zeitverhältnisse (z.B. „Schneewittchen“) 

Form 

Freies Erzählen

 

„freies“ Vorlesen – nur teilweise am Text orientiert

Vorlesen

Erzählzeit

Gegenwart

Gegenwart und Vergangenheit

Mitvergangenheit 

 

Das Verhalten und die Reaktionen der Kinder während des Erzählens zu beobachten, hilft nicht zuletzt um Erfahrungen für die weitere Arbeit mit Kindern zu gewinnen. Die Erzählung sollte natürlich möglichst nicht durch Ermahnungen unterbrochen werden. Wenn nötig, können die Kinder im Sinne der Geschichte angesprochen werden - ohne dass die Erzählung in ein Gespräch ausartet. Dieses hat seinen Platz im Ausklang des Angebots und in der folgenden Freispielphase. 

Im Unterschied zu aktivierenden Angeboten habe ich noch nie erlebt, dass ein Erzähl/Vorleseangebot nicht geklappt hätte, was vielleicht auch mit meiner eigenen Begeisterung zu tun hat. Dennoch, ein Angebot rasch zu beenden, weil die Kinder zu unruhig sind, ist keine Schande, sondern Grund zur intensiver Reflexion und Suche nach den eigenen Fehlern. 

 

 

3.3 Der Erzählkreis

 

Der Erzählkreis ist die gebräuchlichste Konstellation des Vorlesens und Besprechens und bietet vorab die Möglichkeit, Informationen zur Bücherei zu geben; das Vorlesen/Erzählen eignet sich besonders, Interesse an Büchern anzuregen und den Büchereibesuch stimmungsvoll abzurunden. 

Für das jüngere Kind und auch für das Kind mit Deutsch als Zweitsprache ist der Einsatz von Anschauungsmaterial besonders günstig, was im Folgenden erläutert werden soll. 

Je jünger das Kind ist, desto mehr ist es auf Anschauungsbilder angewiesen, da sich das gedankliche Vermögen, von abstrakten Begriffen auszugehen, erst bildet. So kann die Text- bzw. Erzählebene nicht selbstständig erschlossen werden. Das Bild erlaubt dem Kind „mitzulesen“, wenn der Erwachsene vorliest, oder „nachzulesen“. Die Bilder erleichtern dem Kind bei der Sache zu bleiben und Verständnis zu entwickeln. 

Selbst beim Angebot für eine Kleingruppe von jüngeren Kindern kann diese Anschaulichkeit schon zum Problem werden. Denn schon ein viertes Kind vermag nicht mehr gut ins Bilderbuch zu blicken und beginnt vielleicht, sich um den begrenzten Platz um die BibliothekarIn zu raufen bzw. möchte das jüngere Kind auf ihren Rücken steigen, um den Illustrationen möglichst nahe zu sein. 

Beim Bilderbuchangebot für eine Kindergroßgruppe ist das Zeigen der Illustrationen rundum im Kreis fragwürdig. Denn ein solch kurzer Eindruck, vielleicht sogar während die Erzählung fortfährt, wäre verwirrend und der Aufmerksamkeit der Kinder abträglich und würde die Atmosphäre der Erzähl- oder Vorlesesituation beeinträchtigen. 

Dieses Problem lässt sich durch Anschauungsmaterial lösen. Erzählt die BibliothekarIn eine Geschichte über den Regen, kann sie einen Regenschirm aufspannen, erzählt sie eine Frühlingsgeschichte, können Blumen verwendet werden usf. Kleinere Utensilien können beispielsweise erst während der Erzählung einer Schmuckschachtel entnommen werden. Derart kann die Sprachförderung durch ein Erzählangebot sehr gelingen. Ideal wäre, wenn der Kinderbibliothekar über ein kleines Repertoire an Bilderbüchern plus Anschauungsmaterial für jüngere Kinder verfügt. 

 

Da jedoch das Buch im Zentrum des bibliothekarischen Angebots stehen und zu dessen Betrachtung und zum Lesen animiert werden soll, möchte ich im Folgenden besonders auf das Bilderbuchkino als Methode der Bilderbucharbeit mit der Gesamtgruppe eingehen. 

 

 

 

 

3.4 Bilderbuchkino

 

Im Unterschied zum Erzählkreis wird Bilderbuchkino viel seltener von Schule, Hort, Kindergarten bzw. von den Eltern angeboten und stellt daher für viele Kinder ein neuartiges, spannendes Erlebnis dar, dessen einfache Rahmenbedingungen sich ohne viel Aufwand herstellen lassen. 

Es vermag zudem auch Kinder anzusprechen, die wenig Interesse für Bücher haben oder keine entsprechende Förderung durch die Familie erfahren, denn Kinder lieben bekanntlich den Konsum von Filmen und Computerspielen, die allerdings keine unmittelbare Art menschlichen Kontakts darstellen, und sind damit bestens vertraut. Das Bilderbuchkino als mediales Angebot verbindet dieses Interesse mit dem oft arg vernachlässigten Erzählen - verstanden als persönliches Ansprechen und zum Ausdruck bringen spontaner Gefühlswerte - für das sich in unserer Zeit fast niemand mehr „Zeit nimmt“! Es nutzt das starke Interesse an Bildern, regt zur genauen Betrachtung an, macht den Zusammenhang zwischen Bild und Inhalt des Buches deutlich und bringt das Kind dadurch dem Buch und der fantasievollen Selbsttätigkeit, die Lesen erfordert, näher. 

So kann den Kindern ausrechend Zeit zur Betrachtung, für Spaß und Humor, Hilfe beim Erfassen von Wesentlichem und eine auf das Bild abgezielte Verbalisierung angeboten werden. 

 

Auch wird von manchen Kindern das Vorlesen (und Mitlesen) durch die BibliothekarIn in der Kleingruppe nicht gesucht, da sie eine Beziehung benötigen, um sich sicher zu fühlen. Das Bilderbuchkino ist dagegen ein Angebot, das die BibliothekarIn zugunsten des vertrauten Gruppengefühls in den Hintergrund treten lässt. Dieses mit der „Faszination Kino“ verbundene Gemeinschaftserleben wird im Bilderbuchkino mit dem Buch, das eben keinen mühelosen Konsum darstellt, sondern zu viel geistiger Aktivität anregt, verbunden. 

 

„Visual literacy“: Bilder sind mehr als eine unumgängliche Durchgangsphase zum gedruckten Wort; das Bilderbuch ist mehr als bloßes Mittel zur Leseerziehung. So ist das Bilderbuchkino mit seinen stark vergrößerten Bildern eine wunderbare Möglichkeit zur Erstbegegnung mit Kunst und mit Bildern, die graduell auf Idyllisierung, Typisierung und Verniedlichung verzichten und vermag mit diesem Anspruch auch ältere Kinder zu fordern.  

 

Die üblich dargebotenen Geschichten sind phantastischer Art, Märchen oder „Problemgeschichten“, worunter nicht „schwierige Themen“(Gewalt, Tod, Arbeitslosigkeit…), sondern entwicklungspsychologisch typische Ängste, Modelle für soziales Verhalten, Verständnis für Mitmenschen, Möglichkeiten der Konfliktlösung, Verbalisierung von Gefühlen etc. gemeint sind. Das Bilderbuchkino ermöglicht darüber hinaus aber auch die Behandlung von Umwelt- und Sachgeschichten. Beispielsweise kann über Marienkäfer nur gesprochen werden, wenn zeitgleich die Möglichkeit zur Betrachtung passender Bilder besteht. Viele Kinder zeigen größtes Interesse am naturwissenschaftlich-technischen Bereich und so sollte diesem auch ein entsprechender Stellenwert in der Bildungsarbeit zukommen: sachrichtige Informationen über Vorgänge in der Natur und im Menschenleben, Erfassen von Ursache und Wirkung, Kennenlernen von Neuem… 

 

Urheberrecht: Das eigene Digitalisieren von Bilderbüchern erscheint in einer Zeit, wo fertiges Bilderbuchkino in großer Zahl und Qualität den Büchereien, deren Partnerorganisationen oder als (zum Teil kostenloses) Verlagsangebot zur Verfügung steht, nicht länger notwendig. Nur im Bereich der Umwelt- und Sachgeschichten wäre eventuell daran zu denken. Ob der Verlag dann Bilderbuchkino als Werbung für sein Produkt ansieht und seine Einwilligung gibt, vermag ich nicht zu beurteilen. 

 

Die Durchführung betreffend sollten die Kinder auf ihrem Platz sitzen, bevor der Projektor, der auf ein kleines Tischchen gestellt wird, ans Stromnetz geht. Die Verkabelung sollte kurz sein und keinesfalls durch die Kindergruppe führen. Verläuft sie entlang einer Wand, kann das Kabel mit Klebeband gesichert werden. Eine Leinwand ist nicht notwendig, denn die Projektion auf ein Stück weiße Wand schafft hervorragende Bilder. Ich würde beim Projektor sitzend erzählen und während der Erzählung die Bildfolge bedienen, da eine Fernbedienung womöglich die Gefahr schafft, dass das Tischchen mit dem Projektor von einem Kind angestoßen wird. 

Einmal habe ich erlebt, dass die Kinder während der Vorführung begannen, Schattenspiele zu veranstalten. Nach der Vorführung bekamen sie dazu Gelegenheit. Neben den Informationen zur Bücherei (Einschreibung, Ausleihe), die einführend gegeben werden, könnte dies eventuell angesprochen werden. 

 

 

 

 

3.5 Handlungsorientierte Angebote

 

Sicher ist hier an das Spiel und nicht an den schulischen Unterricht (systematisches Lernen) zu denken. Auch beim Leseanfänger/Volksschulkind ist dem umfassenden Lernen und dem Selbstbildungsprozess durch Spielen innerhalb der Sicherheit gebenden, fest gelegten Ordnung und räumlicher Eingrenzung der Bücherei der Vorzug zu geben, denn vor allem soll doch eine emotionale Bindung zum Buch und ein Erkunden der Bücherei angeregt werden. 

Grundsätzlich denke ich, dass die Bücherei dem Bewegungsdrang der Kinder nicht erschöpfend nachkommen kann und ungenügende Bewegungssequenzen – kurzes Hüpfen etc. – die Kinder daher unnötig „aufdrehen“. Spiele wie beispielsweise die bekannte „Zugfahrt“ und besonders beruhigende Angebote aus dem Bereich der Rhythmik können aber sicher vergnüglich durchgeführt werden. Dafür braucht es allerdings besondere Vorbereitung, Planung und Organisation von Materialien und Büchern und Leitungskompetenz der BibliothekarIn. Der Großteil der Kindergruppe bzw. alle Kinder sollten mitmachen können. 

Die Fülle spielerischer Angebote zur Sprachförderung ist unbegrenzt: Rätsel, Dramatisieren, Fantasiereise, Kreisspiele, Singspiele, Reimspiele etc. Gleiches gilt für die Didaktik des Lesenlernens (Alphabetisierungsspiele etc.) für das Volksschulalter. Auch wenn das Angebot auf Spiele in Verbindung mit Büchern und Bücherei begrenzt wird, können zahlreiche bekannte Kinderspiele in eine solche Verbindung gebracht werden. 

 

  • Die Kinder suchen je ein Bilderbuch aus, alle Bücher kommen sodann unter eine Decke. Reihum zieht jedes Kind ein Buch hervor und muss den Besitzer erraten, sonst kommt es wieder unter die Decke. 
  • Ein Kind kommt hinzu und muss erkennen, welches Kind kein Kinderbuch in Händen hält. 
  • Die Kinder sitzen im Kreis und halten ausgesuchte und bekannte Bilderbücher. Ein Kind in der Kreismitte nennt Bücher, woraufhin diese Kinder die Plätze wechseln müssen, sofern das Kind in der Kreismitte den freien Platz nicht schneller besetzt, wodurch ein neues Kind in die Kreismitte gelangt. Auf das Kommando „Bücherei“ wechseln alle Kinder die Plätze 
  • „Ging ein Riese in die Bücherei“ –  stampft so laut er kann, lacht so laut er kann, klatscht so laut er kann, schleicht so leis’ er kann, trippelt so schnell er kann… Gruppe folgt dem Bibliothekar- Riesen zu unterschiedlichen Bereichen der Bücherei. 

 

Spielideen finden sich u.a. in der Projektarbeit von Veronika Freytag: „Kinder lernen die Bücherei kennen“: 

 

  • Zuordnungsspiele: Märchenbild und Märchenbuch, Gegenstand bzw. Figur und Bilderbuch, Foto und Sachbuch – Paare finden, unpassende Gegenstände aussortieren
  • Zeichnen zu einem vorgelesenen Text
  • Kinder stellen reihum ein Buch vor, das ihnen gefällt
  • Bücher ins Regal einordnen, wo Kinderbuchfiguren als Platzhalter fungieren
  • Zugfahrt durch die Bücherei; hier denke ich an folgenden Ablauf: „Die Eisenbahn fährt los – alle anhängen!“ Alle schaufeln Kohle in den Ofen: „Geht schon besser, geht schon besser!“ Wird immer schneller: „Tuuut!“ Eisenbahn hält vor einem bestimmten Buchbereich, der den Kindern erklärt wird. 
  • Vorlesen und Raten: BibliothekarIn liest aus einer Kopie, Kinder raten, aus welchem der in der Mitte am Boden liegenden Büchern vorgelesen wird. 
  • Ausleihregeln und Wissen um die Bücherei werden nach Muster des Fernseh-Ratespiels „1, 2 oder 3“ erarbeitet. 
  • Schatzsuche

 

 

4. Ausklang, Übergang zum zweiten Freispiel und Verabschiedung

 

Das Angebot sollte möglichst nicht abrupt abbrechen. Nach einer gelungenen Erzählung werden manche Kinder kurz noch entspannt sitzen bleiben und verträumt nachsinnen (bzw. kann die Kindergruppe gebeten werden, kurz noch sitzen zu bleiben). So kann ein zwangloses Plaudern entstehen und die Kinder können das, was sie bewegt, ansprechen. Eine PädagogIn berichtet, sie hätte erstaunlich selten erlebt, dass Kinder – gleich welchen Alters – im Anschluss an eine Erzählstunde „sachliche“ Fragen gestellt haben. Die didaktische Literatur zeigt sich darin einig, dass im Ausklang eines Erzählangebots nicht Deutung, Belehrung oder Erwachsenenantworten gefordert sind, sondern aktives Zuhören der BibliothekarIn. 

Weiter schreibt die Pädagogin: „Oft konnte ich beobachten, dass die Kinder dankbar eine kleine Hilfe annehmen, um dann noch ein wenig bei sich selbst und den eigenen Gefühlen zu verweilen. So eine Hilfe kann z.B. ein Stückchen trockenes Brot sein – von mir schweigend an alle ausgeteilt, das dann fast andächtig gegessen wird. Noch nie habe ich erlebt, dass ein Kind dieses karge Mahl abgelehnt hätte.“ Ich denke hier an kleine Süßigkeiten zum Abschluss.

Natürlich ist eine Rückmeldung der Kinder, was ihnen gefallen hat und was nicht, für die laufende Verbesserung des bibliothekarischen Angebots sehr hilfreich. 

Die Phase des Ausklingens sollte nicht allzu ausgedehnt werden. Vielleicht wollen manche Kinder bald wieder durch den „goldenen Reifen“ aus dem Märchenland hinaus krabbeln. 

Die Kinder erhalten nun eine weitere Gelegenheit, selbsttätig die anregende Umgebung und das Medienangebot zu erkunden und die BibliothekarIn kann das Gespräch mit einzelnen Kinder suchen, nach deren Lesevorlieben fragen, Sitzpolster und Material verstauen, für die räumliche Ordnung sorgen, Kindern den Entlehnvorgang zeigen, Ausweise ausstellen etc. 

Die PädagogIn sammelt schlussendlich die Kindergruppe und bereitet die Kinder auf den Rückweg vor. Eine herzliche Verabschiedung, wo sich die BibliothekarIn für den Besuch bedankt, und vielleicht ein Handgeben der Kinder beschließen den Besuch.  

 

Anmerkungen: 

1 Besonders für die stark gewachsene Anzahl von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache hat das bibliothekarische Angebot und Sprachvorbild große Bedeutung. Auch wenn das Kind häufig lange kaum spricht, nimmt es dennoch laufend Sprache seiner Umgebung auf und entwickelt dadurch sein Sprachverständnis und besonders den phonologischen Bereich, für den die frühe Kindheit so entscheidend ist.

Vgl. Haider, Elisabeth, „Zweitsprachenerwerb im Kindergarten“, Unsere Kinder, 2/1996

 ebenso: Ulrich, Michaela, „Fremdsprachen im Kindergarten“, Unsere Kinder,  5/2000

 

2 Vgl. Schieder, Brigitta, „Mit Märchen zur inneren Mitte finden“, Unsere Kinder, 6/1998

3 Vgl. Reimitz, Judith, „Das Bilderbuch in der Beziehung zwischen Erwachsenem und Kind“, Unsere Kinder, 2/2000

4 „Bücher, die Kindheit nicht als Schonraum begreifen, sondern Schwieriges, Ungewohntes, Mehrdeutiges, Unfertiges zulassen. Das verlangt aber auch, dass Erwachsene ihre häufig nostalgische und sentimentale Blickweise aufgeben und sich der Provokation von Bildangeboten jenseits der Idylle stellen. 

Auch Kinder leben in dieser unheilen Welt und wollen sich bewähren; sie brauchen daher beides, einerseits ruhige, bunte, harmonische Illustrationen, Bilder, deren Bildsprache ihnen vertraut ist, die das Gefühl von Geborgenheit vermitteln und zum Ausrasten einladen. Andererseits haben Kinder auch ein Anrecht auf Illustrationen, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen, die Neugierde, Spannung und Befremden erzeugen, auch auf solche, die bedrohlich wirken. Erst eine Vielfalt von Bilderfahrungen, die diese Pole und alles, was dazwischenliegt, mit einschließt, wird das Kind zum „Bildleser“ machen, das heißt zu „visual literacy“ führen.“ 

Aus: Kainz-Kazda, Elfie, „Ein Bilderbuch ist die erste Galerie, die ein Kind besucht“, Unsere Kinder, 2/2000

5 Aus der umfangreichen Literatur zum Erzählen von Märchen z.B.: 

Gauster, Christine, „Brauchen Kinder Märchen?“, Unsere Kinder, 6/1998

6 Vgl. Reimitz, Judith, „Das Bilderbuch in der Beziehung zwischen Erwachsenem und Kind“, Unsere Kinder, 2/2000

Ebenso: Hartmann, Waltraud, „Angst und Angstbewältigung in der Kinderliteratur“, Unsere Kinder, 3/1995 (Überarbeitung 2005)

7 Freytag, Veronika, (2004), „Kinder lernen die Bücherei kennen“

Online im Internet: http://www.projektarbeiten.bvoe.at/FreytagVeronika.pdf

 

8 vgl. Schnieder, Brigitta, „Mit Märchen zur inneren Mitte finden“,  Zeitschrift Unsere Kinder, 6/1998